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Missbrauch der Freiheit im Namen der Freiheit

Die Freiheit gilt als der von den Menschen am meisten gewünschte Wert. Aber genau deswegen ist sie am meisten missbraucht.

Die Ideale der Freiheit, Gerechtigkeit, Brüderlichkeit, Menschenrechte oder ewigen Frieden – die Menschen sind von ihnen begeistert, weil sie die Hoffnung nach besserem und glücklichem Leben versprechen. Die Freiheit ist das Symbol der westlichen Zivilisation, der Kern des Liberalismus und der Grundbegriff der west-liberalen Demokratie. Niemanden kann riskieren, gegen diese Ideale öffentlich einzutreten: Er wird sofort zum Teufel verdammt. Trotzdem sind die Vergangenheit und die Gegenwart von Missbräuchen der menschlichen Ideale überfüllt. Die Mechanismen des Missbrauchs sind vielfältig, aber sie alle stehen im Mittelpunkt einer komplexen Beziehung zwischen der Logik der Werte und der Logik der Macht. Manche Menschen glauben, dass die demokratischen Werte und Ideale der Willkür der Macht heilen und korrigieren können. Die Macht lächelt insgeheim darüber und macht alles, was sie will: genau im Namen der Freiheit, Demokratie und anderen großen Werten und Idealen. Wie es ihr gelingt? Um dieses Rätsel zu lösen, braucht man einen Schlüssel. Sie ist lange bekannt und heißt „Seenahme“.

Artikel-Themen: Gedankenfreiheit als größter Wert der Demokratie / Wer Freiheit sagt, will betrügen / Techniken des Missbrauchs

Gedankenfreiheit als größter Wert der Demokratie

In der heutigen Informationsgesellschaft erreicht die Freiheit ihre höchste, vielleicht absolute Bedeutung als Freiheit des Denkens. Für den Demokratie-Experten Paul Nolte ist dies das wichtigste Grundrecht der Demokratie. Man könnte, schreibt er, endlos darüber streiten, welches fundamentale Recht für eine Demokratie das Wichtigste ist. Ohne das Recht auf Leben, Sicherheit und körperliche Unversehrtheit sind alles andere nichts. Aber das kann auch eine aufgeklärte Monarchie oder ein autoritäres Regime garantieren. Für eine freie politische Gesellschaft und Verfassung ist das Recht auf freie Meinungsäußerung so etwas wie ein archimedischer Punkt, von dem aus sich andere Rechte bestimmen lassen. Wenn elementare physische Bedürfnisse erfühlt sind, beginnt die Freiheit des Kopfes. (1)

Die geistige Freiheit als Hauptprinzip der Demokratie hat noch britischer Philosoph John Stuart Mill (1806–1873) festgelegt, wenn er über die Freiheiten des Individualismus sprach. Für ihn sind die Freiheiten des Individuums das Fundament der allgemeinen Wohlfahrt und des kollektiven Glücks: Solche Freiheiten sind der Motor des Fortschritts der Gesellschaft und damit das Fundament der allgemeinen Wohlfahrt. Sie dürfen keinesfalls von der Gesellschaft eingeschränkt werden. Die Anwendung von Mills „Freiheitsprinzip“ soll also zur Realisierung des kollektiven Glücks führen. Dabei schätzte Mill die Gewissens- und Diskussionsfreiheit höher als persönliche Freiheit der Lebensführung und Vereinigungsfreiheit. Mill führt aus, dass, selbst wenn bis auf einen Menschen die ganze Menschheit der gleichen Meinung wäre, die Mehrheit dann dennoch nicht das Recht hätte, diesen einen Menschen zum Schweigen zu bringen. (2)

Die Kernbedeutung der politischen Freiheit hat wohl Rosa Luxemburg (1871-1919) am prägnantesten formuliert: „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden.“ Theodor W. Adorno (1903-1969) geht noch weiter. In der „Dialektik der Aufklärung“ schrieb er in der Vorrede, dass „die Freiheit in der Gesellschaft vom aufklärenden Denken unabtrennbar ist“. Aufklärendes Denken soll es jedem ermöglichen, die Entstehung und Entwicklung der Gesellschaft zu begreifen und nachzuvollziehen und sich an der weiteren Entwicklung der Gesellschaft zu beteiligen. Freiheit ist insofern die Freiheit uneingeschränkten Denkens. (3)

Adorno macht jedoch darauf aufmerksam, wie schwierig es ist, über diese Definition hinaus eine positive Definition von Freiheit zu finden. Er verdeutlicht dies anhand der politischen Situation der im Kalten Krieg konkurrierenden Machtblöcke USA und UdSSR, die sich beide darauf berufen haben, die Freiheit zu repräsentieren und zu verteidigen. Adorno macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass die Nationalsozialisten ihren Reichsparteitag 1935 in Nürnberg, auf dem die „Nürnberger Gesetze“ verkündet wurden, den Namen „Reichsparteitag der Freiheit“ gaben. (4)

Die Freiheit des Denkens und die Freiheit, das eigene Leben selbstständig zu gestalten, sind Adorno zufolge in bürgerlichen und kapitalistischen Welt nicht möglich (selbstverständlich auch nicht in der nationalsozialistischen und in der stalinistischen). In dieser Welt ist die Freiheit der Menschen den Zwängen des Kapitalismus, d.h. den Zwängen des Profits und den Vorstellungen der bürgerlichen Machthaber, unterworfen. Gleichzeitig sind die Menschen von den bürgerlichen Denkstrukturen gefesselt, die zutiefst mit der kapitalistischen Struktur der bürgerlichen Gesellschaft verknüpft sind. Insofern sind Menschen nicht frei, wenn sie nur Manövrier- und Manipuliermasse zur besseren Kapitalverwertung – d.h. Kapitalmaximierung – sind. Frei sind sie, wenn sie nach eigenen Maßstäben denken, handeln und urteilen dürfen, ohne dabei instrumentellen Maßstäben genügen zu müssen. Instrumentelle Maßstäbe sind all jene, die Menschen einem Ziel unterwerfen, das außerhalb des jeweiligen Menschen selbst liegt. (5)

Je mehr Menschen frei denken, äußern und das eigene Leben selbstständig gestalten können, deshalb mehr die Gesellschaft frei ist. So einfach kann man die Formel der demokratischen Freiheit formulieren. Ein Meinungsfreiheitsbarometer wäre ihr Messgerät.

Wer Freiheit sagt, will betrügen

Doch gerade die Meinungsfreiheit befindet sich in den letzten Jahren, insbesondere seit dem Ukraine-Konflikt, in einer tiefen Krise, wie der Medienwissenschaftler Uwe Krüger in seinem Buch „Mainstream. Warum die Deutschen ihren Medien nicht mehr trauen“ (2016) gezeigt hat. In seinem Buch „Geopolitik zur Einführung“ (2014) geht Niels Werber noch weiter: Er zeigt, wie die Freiheit zum Instrument geworden ist, mit dem der westlichen Macht gelingt, in der Welt zu herrschen. Dabei stützt er sich auf den deutschen Publizisten Wolfgang Schivelbusch, der unter dem Titel Perfides Albion eine angelsächsische Seenahme im Cyberspace konstatiert.

Schivelbusch bezieht sich nicht nur mit dem Begriff der „Seenahme“ auf Carl Schmitt, sondern greift explizit auf mehrere Motive aus dessen Schrift über den Nomos der Erde zurück. Wichtig für seine Diagnose eines Seenahmes im Cyberspace ist die Übernahme von Schmitts Behauptung, dass gerade die völkerrechtliche Konstruktion der freien Meere England zur „Herrin der Meere“ und damit zur Herrin der Welt gemacht habe. Es sei die „neue Freiheit der Meere“ gewesen, „die für sie zu einer einzigen großen Seenahme wurde“. Die britische Flotte scheint weltweit den Freihandel zu verteidigen, tatsächlich könne England aber von seinen weltweit errichteten „Stützpunkten“ aus alle Weltmeere kontrollieren und nach eigenem Gutdünken sperren. „England wurde Herrin der See und errichtete auf seiner Seeherrschaft über die ganze Erde ein in allen Erdteilen verstreutes, britisches Weltreich“, dessen Infrastruktur, modern formuliert, aus Knoten und Verbindungen bestand, aus „Stützpunkten und Verkehrslinien“, die das Empire auf eine ähnliche Weise „robust“ gegen Angriffe machten. (6)

„Seemacht ist Weltmacht, weil sie den Weltverkehr beherrscht“, schreibt Schmitt über das britische Empire. Diese Weltmacht trete aber nicht offen, sondern perfide auf, nämlich unter der Flagge des Völkerrechts und der Menschheit, wie nun Schivelbusch mit Schmitt behauptet. Denn England habe nicht etwa versucht, sich das Weltmeer anzueignen und sich damit den Rest der Welt zum Feind zu machen. Stattdessen wurde es ausdrücklich als allen gleichermaßen gehörend und zugänglich erklärt. Res omnium et nullius, Sache aller und Niemandes, so lautete die juristische Definition der Freiheit der Meere, der niemand widersprechen konnte, ohne selbst als Usurpator zu erscheinen. Wer dagegen verstieß, machte sich zum Menschheitsfeind, wie umgekehrt die Urheber dieser Formeln die Interessen der Menschheit zu vertreten schienen. (7)

Der Missbrauch der Freiheit im Namen der Freiheit ist nun offensichtlich. Werber schreibt: „Ein oft zitierter Ausspruch Carl Schmitt lautet: ‚Wer Menschheit sagt, will betrügen.‘ Der Betrug liegt in diesem Fall darin, mit der völkerrechtlichen Erklärung der Meere zum menschheitlichen Gemeinbesitz zu verbergen, dass gerade durch diese Erklärung das „formell herrenlose und allen gleichermaßen zustehende Meer … faktisch von der englischen Flotte kontrolliert“ worden sei.“ (8)

So verbirgt sich der Missbrauch der Freiheit in der völkerrechtlichen Konstruktion der „freien Meere“, das formell für „freie Meere“ sorgt, in Wirklichkeit aber England einst zur „Herrin der Meere“ und zur Herrin der Welt machte. Nach dem Ersten Weltkrieg übernahmen diese Rolle die USA. Es handelt sich im Prinzip um die Beherrschung des Weltverkehrs durch die Kontrolle über die Knoten und Verkehrslinien auf den formell freien Meeren. Deshalb brauchten die USA mit den Verbündeten eine gigantische Flotte, um das „freie Meer“ überall zu kontrollieren.

Auf eine ähnliche Weise funktioniert der „Missbrauch der Freiheit“ im Cyberspace, wo die Knoten und Verbindungen das Kommunikationsnetz des Internets (von den USA zuerst als ARPANET errichtete) vor Störungen und Angriffen zugunsten der USA schützen sollen. Aber auch viele andere Bereiche, die als Meer keine Grenzen, sondern nur die Strömungen und Gegenströmungen kennen, könnten nach dem britischen Muster konstruiert und zum „Seenahme“ genannt werden. Sie sind überall: technologische Ströme, Informationsströme, Handelsströme, Migrationsströme, Zahlenströme, Finanzströme usw. Im Bereich des „freien Meeres“ geraten die „freien“ Medien, der „freien“ Handel, die „freien“ sozialen Netzwerken und internationalen NGO, die nationalen und internationalen Institutionen wie EU, UN, UNESCO, WTO usw., also alles, was eine „Verknotung“ und Kontrolle ermöglicht. Die „Knoten und Verbindungen“ den „freien“ Medien sind z. B. die mächtigen Verlags- und Verkaufshäuser. Die Banken sind die Knoten des Finanzsystems, wo die internationalen Zahlungssysteme wie SWIFT die Verkehrslinien kontrollieren. Die militärischen Basen der USA kontrollieren alle wichtigen Schiffsverkehrslinien. Usw.

Man bedarf keine besondere Fantasie, um vorzustellen, wer heute in der Welt die „angelsächsischen Seenahme“ trägt und die Freiheit im Namen der Freiheit missbraucht. Der „freie“ Welthandel ist z. B. so weit frei, bis er keine echte Konkurrenz den westlichen und zuerst angloamerikanischen Unternehmen macht. Der Handelskrieg zwischen den USA und China zeigt deutlich, wie eine freie Konkurrenz auf dem freien Markt plötzlich unerwünscht sein könnte, wenn sie außer der Kontrolle des Trägers der „Seenahme“ geraten ist. An der Landschaft der westlichen „freien“ Medien sind die alternativen Medien unerwünscht, wie z. B. Russia Today. Im Sport bekommt eine enorm große Macht die Welt-Anti-Doping-Agentur, die bei der Bekämpfung des Dopings als ein allgemeines Problem aus fragwürdigen Gründen nur russische Athleten total verfolgt und bestraft. Die internationalen Organisationen wie „Amnesty international“ oder „Human Rights Watch“ sollten eigentlich die Verletzung von Menschenrechten überall auf der Welt anprangern, sie werden aber plötzlich schweigsam, wen es um die Sprachverfolgung in den baltischen Staaten oder Verhetzung des Hasses gegen Russen in der Ukraine geht. Usw.

Es ist jedoch selbstverständlich, wenn zu erinnern, dass die Macht die eigene Logik hat, die von Zeit, Geschichte und vielen anderen Faktoren unabhängig ist. Einer von bekanntesten Theoretikern der politischen Macht war Machiavelli (1469-1527), derer Beschreibung der Technik der Politik auf dem Beispiel der Republik Florenz bis heute hochrelevant ist. Seine Hauptthese ist bis heute schwer zu widerlegen, und zwar, dass das oberste Ziel der Herrschaft der Machterhalt ist, unabhängig davon, wie dieser erreicht werden könnte. Der Mechanismus der „Missbrauch der Freiheit“ ist ein deutliches Zeichen dafür. Es reicht die Knoten und die „Stützpunkte“ in den freien Strömungen aufzubauen und die Kontrolle über den wichtigen Verkehrslinien zu organisieren, um die Herrschaft völlig legitim im Namen der Freiheit zu bewahren, die Präferenzen zu gewährleisten und beim Bedarf den Gegner zum Menschheitsfeind zu erklären.

Die Erfindung der Seenahme macht also die Freiheit zum Instrument der Herrschaft. „Wer Freiheit sagt, will betrügen“, könnte die Formel des Missbrauchs der Freiheit lauten. Das ist aber zum politischen Normativ geworden. Zum systematischen Missbrauch des schönen Wortes „Freiheit“ hat Publizist und ehemaliger Politiker (SPD) Albrecht Müller noch im Jahr 2008 folgendes geschrieben: „Bush redet unentwegt von Freiheit, auch Westerwelle, auch Angela Merkel, auch Barack Obama. Sie reden alle von Freiheit. Und wenn man genau hinhört, dann entdeckt man, dass dieses schöne Wort nur noch eine Hülse ist. Man kann darin verstecken, was man will: Bush seine Kriege, Angela Merkel ihr Nichtstun gegen die Arbeitslosigkeit, Guido Westerwelle sein mangelndes Profil und manche Journalisten ihre Unfähigkeit zu kritischen Fragen mit Substanz.“ (9)

Das bestätigt nochmals eine alte Weisheit: Das Streben des Menschen nach Macht und der dann oft folgende Machtmissbrauch sind fast eine anthropologische Konstante. Die Methode ist universell: Sie erlaubt, auf die Stelle der Freiheit als unantastbaren Wert die anderen Werte zu schreiben, die sicherlich niemand bestreiten kann, aber von Macht mit Sicherheit missbrauchen lässt.

Techniken des Missbrauchs

Das Schema des Missbrauchs der Freiheit ist leicht auf alle anderen Werten, Idealen und großen Ideen zu übertragen, als auch auf die demokratischen Institutionen. Am wichtigsten ist, die notwendigen Knoten aufzubauen und die Kontrolle über die Verkehrslinien zu organisieren. Sogar Carl Schmitt hat in seiner schon jahrhundertealten Analyse des Parlamentarismus auf viele Bereiche hingewiesen, wo die Demokratie missbrauchen werden könnte, etwa eine öffentliche Diskussion oder Balance und Transparenz bei den politischen Entscheidungen. Dies bezieht sich auf sein Werk „Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus“ (1923). Es gibt heute genug von parlamentarischen Ausschüssen, Lobbyorganisationen, Denkfabriken, internationalen Kommissionen, Klubs und NGO, die gern vom Seenahme als Knote und Verkehrslinien genutzt werden können, um ihren Einfluss auf die Politik der demokratischen Institutionen auszuüben.

Politische Führungspersönlichkeiten, hochrangige Beamte, Vorstandsvorsitzende, Funktionäre, Journalisten usw. lassen sich problemlos von internationalen Wirtschafts- und Finanzeliten kaufen. Wie dieses Geschäft funktioniert, hat u. a. bekannter Journalist und Publizist Udo Ulfkotte im Bestseller „Gekaufte Journalisten. Wie Politiker, Geheimdienste und Hochfinanz Deutschlands Massenmedien lenken“ (2014) ausführlich beschrieben. Selbst die hochgestellten Politiker und Beamten, von denen die politischen Entscheidungen abhängig sind, sollen auf Banken, internationale Unternehmen, Denkfabriken und Organisationen zurückschauen, weil dort die Mainstream-Politik aufarbeitet. Für Politiker ist es extrem gefährlich, offen ihre Meinung zu äußern oder eigene, von dem Mainstream unabhängige politische Ansprüche bereitzustellen. Selbst eine leicht abweichende Äußerung oder Tat kann im Desaster enden. Als ein bekanntes Beispiel könnte die Wulff-Affäre genannt werden, wenn die wirkliche Ursache der Presse-Verfolgung nicht der Verstoß der damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff gegen Staatsrecht war, von denen er letztendlich freigesprochen wurde, sondern seine umstrittene politische Position, etwa zum Islam mit dem Spruch „Der Islam gehört zu Deutschland“.

Das Problem ist nicht die nationalen und demokratisch gewählten Regierungen, sondern ihre starke Abhängigkeit von den internationalen Wirtschafts- und Finanzeliten, die sich in einer globalisierten Welt schon lange eng verbunden sind und gemeinsam und international agieren. Die nationalen Regierungen befinden sich also zwischen Hammer des demokratischen Willens des Volkes und Amboss des Interesses von internationalen Wirtschafts- und Finanzeliten. Das beraubt die nationale Souveränität: Nicht alles, was im Namen der Demokratie gemacht ist, entspricht dem Willen des Volkes und ist demokratisch. Es ist nicht zufällig, dass die westlichen Demokratien die repräsentative Demokratie bevorzugen: Parlamentarismus erleichtert die Lobbyarbeit.

Im Westen nimmt die Korruption ganz andere, durchaus legitime Formen an, aber mit der gleichen Wirkung und sogar in einem viel größeren Ausmaß. Im Westen nimmt die Korruption ganz andere, durchaus legitime Formen an, aber mit der gleichen Wirkung und sogar in einem viel größeren Ausmaß. Dies geschieht durch die Zahlung hoher Honorare, die Organisation teurer Treffen mit gut bezahlten Diensten, aber noch mehr durch die Bereitstellung gut bezahlter Arbeit nach Beendigung einer politischen Karriere. Viele politische Führer und führende Beamte nehmen die Positionen in Firmen an, deren Angebote sie besser ausschlagen sollten, solange sie noch im Amt sind. Oft wird in der Presse Gerhard Schröder erwähnt, aber auch der Wechsel ehemaligen Präsidenten der Europäischen Kommission José Barroso zu Goldman Sachs könnte als Paradebeispiel genannt werden.

Es geht um eine gut durchdachte Personalpolitik der Machteliten, die eine Grundlage für die Förderung und Verteidigung ihrer Interessen und für die Kontrolle der obersten politischen Führung in ihrer Entscheidungsfindung schafft. Die Betreuung des Führungspersonals und die Erschaffung von Mehrheit in den verschiedenen Gremien erleichtern die notwendige Kontrolle. Zu einer erfolgreichen Personalpolitik gehört es auch, junge Talente zu finden, sie auszubilden und zu fördern und eine Datenbank – auch durch Nachrichtendienste – von den prominentesten Persönlichkeiten anzulegen, auf die man jederzeit zurückgreifen kann, wenn jemand versucht, sich von der Kontrolle zu befreien.

Natürlich ist das Problem nicht die Personalpolitik an sich. In der Sowjetunion wurde der Vorbereitung von Kadern große Bedeutung beigemessen. In Russland wird die Personalpolitik im Rahmen des Programms „Leaders of Russia“ durchgeführt, an dem Tausende von jungen Menschen teilnehmen. Im himmlischen Reich ist die Kommunistische Partei Chinas traditionell für das Personalwesen zuständig. Und so weiter. Jeder Staat ist aufgerufen, sein eigenes Personal zu bilden und damit den Grundstein für seine Souveränität zu legen. Eine Besonderheit der westlichen Personalpolitik besteht aber darin, dass sie in der Regel unter der Kontrolle eines einzigen globalen Zentrums steht, das direkt mit den Interessen des „Eindringlings vom Meer“ verbunden ist. In jüngster Zeit hat beispielsweise die Global Young Leaders Conference, die von Klaus Schwab, dem Gründer des Weltwirtschaftsforums und einem prominenten Befürworter der „Privatisierung“ internationaler Institutionen im Interesse multinationaler Konzerne, organisiert wird, an Bekanntheit gewonnen. „Ziel der Konferenz ist es, in einem globalen Zusammenhang entsprechende Führungsqualitäten zu bilden.“ (10) Auf der Liste derer, die hier studiert haben, stehen heute viele der führenden Politiker Europas, auch Deutschlands. Wie unabhängig sie die nationalen Interessen ihrer Staaten als Träger der Globalisierungsideen vertreten, ist eine offene Frage. Jeder Politiker entscheidet das auf seine Weise.

Die Grundlage des demokratischen Völkerrechtes, die sich auf dem Selbstbestimmungsrecht des Volkes beruht, kann missbraucht werden, wenn die Strafverfolgung weltweit aufgrund des nationalen Rechtes geübt ist, wie es die USA praktizieren. Werber schreibt: „Ähnlich wie die transnationalen terroristischen Netzwerke agieren auch die Geheimdienste, die überall auf die Welt ‚geheime Kriege‘ führen und mit Drohnen oder Kommandoeinheiten ‚gezielte Tötungen‘ durchführen, sowohl jenseits völkerrechtlicher Hegungen (Genfer Konventionen, UN Charta, völkerrechtliche Nichtinterventionsverträge etc.) als auch jenseits des nationalstaatlichen Strafrechts bzw. der nationalstaatlichen Verfassung und der von ihnen garantierten Rechte.“ (11) Ein von Beispielen dazu ist die Tötung am 8. Januar 2020 durch US-Militäreinsatz in souveränem Irak des iranischen Generals Soleimani. Sogar im Außenhandel hat für die USA ihr nationales Recht die höchste Priorität, geht es um den Handelskrieg mit China oder beim Aufbau des Nord Stream 2.

Auch die Vereinten Nationen sind nicht frei von Missbrauch. Die Möglichkeit für Missbrauch könnte sich dann erhöhen, wenn Seenahme gelingt, die Mehrheit von Stimmen auf seine Seite zu ziehen, im Idealfall den Sicherheitsrat zu reformieren, Vetorecht abzuschaffen und parlamentarisches Mehrheitsprinzip zu etablieren. Die Krise des Glaubens an UN als echtem Schiedsrichter des Weltfriedens, besonders nach militärischen Interventionen in Irak und Libyen, zeigt deutlich, wie leicht das Prinzip des Parlamentarismus missbraucht werden kann, selbst auf einer so hohen Ebene.

Der Austritt der Vereinigten Staaten aus den Instituten der Vereinten Nationen bedeutet nichts anderes als die Privatisierung den internationalen Aufgaben durch privaten Großunternehmen und Stiftungen: Das erleichtert ihre Nutzung als Knoten. Ein reines Beispiel dafür ist WHO: Sie soll sich nun bei der Überwältigung von Coronavirus-Pandemie und anderen Bedrohungen nicht an die USA als Nationalstaat stützen, sondern an Hilfe von weltweit agierten Stiftungen und Superreichen wie z. B. die größte Privat-Stiftung der Welt „Bill & Melinda Gates Foundation“ oder ein von reichstem Mann der Welt Warren Buffett. Man kann die Philanthropie reicher Menschen nur begrüßen, es bleibt aber immer ein bitterer Geschmack, dass sie nur deshalb zu den glaubwürdigen Mäzenen werden, um eine Art von moralischem Ablass zu bekommen. Sie tut das völlig in der Tradition der liberalen Paradigmen, wenn die soziale Frage nur als ein karitatives Problem angesehen ist und die Unterstützung den Armen bis zur freiwilligen Angelegenheit von wohlhabenden Bürgern reduziert wird. Das kann die Weltprobleme mildern, aber nicht lösen. Außerdem führt die Privatisierung der internationalen Institute zu Lobbyismus, Intransparenz und Abhängigkeit von Großunternehmen bei den wichtigen Entscheidungen, wo die Logik der Macht a priori stärker als die Logik der Werte ist.

Der menschliche Universalismus, der die Frage stellt, ob es Werte gibt, die für alle Menschen gelten und begründbar sind, bleibt eine gute Idee, bis ein Moment, wenn er zum Kampfbegriff wird. Die sogenannten Gutmenschen mögen diese gute Idee missbrauchen, um den politischen Gegnern zu bedrücken und die ihm gehörte Macht zu festigen. Wie es funktioniert, beschreibt auch Nolte: „Menschenrechte sind seit den 1970er Jahren eines der wichtigsten Themen der internationalen Politik. Organisationen wie „Amnestie international“ in London oder „Human Rights Watch“ in New York prangern die Verletzung von Menschenrechten überall auf die Welt an.“ Aber unter der Kritik befinden sich natürlich vor allem „undemokratische“ Länder oder Länder mit „defekten“ Demokratien. (12)

Es ist nicht zufällig, dass sich die sogenannte international agierte NGO in vielen Ländern immer mehr auf die Kritik anstoßen: Sie verlieren den Glauben an ihre unabhängige Meinung. Als Beispiel des Missbrauchs vonseiten der internationalen NGO könnte die Tätigkeit von George Soros seit 1984 gegründeten Open Society-Stiftung genannt werden, die weltweit Demokratie, Freiheits- und Menschenrechte mit Milliarden US-Dollar unterstützen sollte. In der Realität übt die Stiftung den politischen Einfluss auf die Weltpolitik aus, sogar in den höchsten demokratischen Instituten wie dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. So wurde im Februar 2020 veröffentlichten Bericht des in Straßburg ansässigen Europäischen Zentrums für Recht und Gerechtigkeit (ECLJ) mit dem Titel „Die NGOs und die Richter des EGMR, 2009 – 2019“ zum Skandal: Nach Abschluss einer sechsmonatigen akribischen Untersuchung der Zeitspanne 2009-2019 kam ECLJ zum Schluss, „dass 22 von den 100 ständigen Richtern des Gerichts – fast ein Viertel der Gesamtversammlung – Verbindungen zu sieben bestimmten NGOs aufweisen. Tatsächlich waren diese Personen als Mitarbeiter und in einigen Fällen sogar als Führungskräfte der betreffenden NGOs tätig, bevor sie Richter am Europäischen Gerichtshof wurden.“ Es handelt sich um Beziehungen zu Soros Open Society. (13)

Die gute Idee der Zivilgesellschaft, die sich auf selbstständige, politische und soziale Engagement der Bürger basiert, könnte dadurch missbraucht werden, dass sie durch internationale NGO, Stiftungen und anderen Organisationen als eine Form der Einmischung in den internen Angelegenheiten den Ländern genutzt wird. Solche Einmischung sieht wie ein Versuch aus, die freiwillige Entstehung von nationalen Zivilgesellschaften in der Richtung der Bildung einer internationalen Weltzivilgesellschaft – auf dem west-liberalen Muster – zu lenken.

Neben Menschenrechten stehen auch solche globale und wichtige Idee, wie die Förderung der Weltoffenheit und Toleranz, Gleichstellung und kulturellen Vielfalt, als auch der Kampf gegen Antidiskriminierung, Korruption, Doping im Sport, Familiengewalt usw. Auch hier gibt es genug Möglichkeiten für Missbrauch. Die großen Ideen sind von den Massen auf der Oberfläche hinausgetragen, sie wurden aber von den Eliten mitgenommen und in Geisel gesetzt, um sie für die Bewahrung der eigenen Macht zu nutzen und beim Bedarf zu missbrauchen. Die politische Instrumentalisierung von guten Ideen ist ein typischer Missbrauch der Demokratie im Namen der Demokratie: Aus dem Ideale werden sie zu den Kampfbegriffen bei den politischen Auseinandersetzungen.

Die Notwendigkeit der politischen Korrektheit – als der Ausdruck der politischen Kultur – ist unumstritten, bis ein Moment, wenn sie politisch instrumentiert wird, also als Instrument beim Kampf gegen politische Gegner missbraucht wird. Der Feminismus ist als soziale Bewegungen für Gleichberechtigung, Menschenwürde und Selbstbestimmung aller Menschen jeglichen Geschlechts ohne Zweifel wichtig, aber sie lässt sich als ein politisches Programm den Opponenten leicht zu den Bösen verdammen. Der Globale Migrationspakt, der auf der UN-Konferenz 2018 angenommen wurde, hat viele Bedenken hervorgerufen, nicht wegen seines hehren Ziels, sondern wegen der Befürchtung, dass er missbraucht werden könnte. Aber auch die Migranten können im Namen der Demokratie die Demokratie missbrauchen, etwa bei der Behauptung, dass für sie die Menschenrechte wichtiger als die Staatsrechte sein können.

Missbrauch der öffentlichen Diskussion beginnt voraussichtlich dann, wenn die Aufklärung zur Belehrung wird: Dann verwendet sich die offene und argumentative Diskussion zur Besinnungsdiktatur. Der kritische Geist geht verloren, die Logik des Widerstreites wird zur Logik des Besonderen. So wird beispielsweise nur die Demokratie anerkannt, die der politische Mainstream impliziert. Usw.

Die sogenannten Farbrevolutionen stellen das klassische Beispiel des Missbrauchs der Demokratie im Namen der Demokratie vor. US-amerikanischer Politikwissenschaftler Gene Sharp (1928 – 2018), der als Ideologe der Arabischen Frühling genannt wurde, entwickelte seinen bekannten Methoden der gewaltfreien Aktionen tatsächlich dafür, um den unterdrückten Völkern zu helfen, ihre diktatorischen Regime unblutig in der Richtung der Demokratie umzuwälzen. Sein Vorbild war der geistige und politische Anführer der indischen Unabhängigkeitsbewegung Gandhi, welcher Freiheitskampf Sharp gründlich untersucht hat. Der Sharps eigenen Pazifismus stellt z. B. Tagesanzeiger im Beitrag „Wie man einen Diktator stürzt: Eine Anleitung auf 93 Seiten“ (Februar 2011) vor und zitiert seine eigenen Worte: „Um Frieden herbeizuführen, brauche es eine sorgfältige Strategie. Nicht Gewalt, sondern der friedliche Kampf für Freiheitsrechte, wirtschaftliche Boykotte und ähnliche Maßnahmen würden die Demonstranten ans Ziel bringen.“ (14)

Doch Sharps Anleitung wurde genutzt, um die Regierungen in Tunesien und Ägypten zu stürzen – nicht ohne Einmischung von ausländischen Organisationen. Die Erfahrung der unblutigen nationalen Befreiungsbewegung (Gandhi) und des gewaltlosen Kampfes gegen Rassismus in Amerika (Martin Luther King) wird nun zum Stürzt von autoritären Regimes verwenden – im Namen der Demokratie, aber mit einer großen Verzweiflung, dass von außen gelenkte Demokratisierung die wirkliche Demokratie fördern kann. Wie eine fremde Einmischung in der inneren Angelegenheit des souveränen Staates geschehen kann, präsentiert auch Tagesanzeiger: „Ein amerikanischer Thinktank, das International Center on Nonviolent Conflict, verbreitete gemäß der amerikanischen Zeitung Sharps Ideen in Ägypten. Die Organisation, die demokratische Aktivisten ausbildet, hielt vor einigen Jahren in Kairo einen Workshop ab und stellte den Teilnehmern Gene Sharps „198 Methods of Nonviolent Action“ vor. Darunter figurieren Hungerstreiks, das Enttarnen von Polizeispitzeln und Geheimagenten und vieles mehr. … Die ägyptische Bloggerin Dalia Ziada, eine der Teilnehmerinnen am Kairoer Workshop, griff Sharps Methoden auf und organisierte ähnliche Veranstaltungen zum Thema. Leute, die sie ausgebildet habe, seien später bei den Revolten in Tunesien und Ägypten aktiv gewesen, sagt die Bloggerin gegenüber der «New York Times». Offenbar haben selbst die Muslimbrüder Sharps Werk auf ihrer Website gepostet.“ (15)

So wurde Sharp von Pazifist zu Revolutionär und seine Anleitung zum Masterplan für die Farbrevolutionen: in Serbien, Georgien, Ukraine, Kirgisien, Weißrussland usw. Die Energie der Nationen wurde von ausländischen Organisationen missbräuchlich genutzt, um sie zu lenken – im Namen der Demokratie, aber in der Richtung der west-liberalen Demokratie, die von den Organisatoren der Demokratieförderung als einzig „richtig“ gemeint ist.

So wird die westliche Demokratie zum Vorbild für den Rest der Welt, was unweigerlich zum Missbrauch des eigentlichen Prinzips der Demokratie, des Selbstbestimmungsrechts der Völker, führt. Im Zentrum aller Missbräuche steht jedoch nach wie vor das von den Angelsachsen entdeckte Rechtsprinzip der „Seenahme“.

1. Nolte, Paul: Was ist Demokratie?, Verlag C.H.Beck oHG, München 2012. S. 61-62.

2. Ebenda, S. 42-45.

3. Ebenda, S. 37, 46.

4. Ebenda, S. 47.

5. Ebenda, S. 48, 51.

6. Werber, Niels: Geopolitik zur Einführung, Junius Verlag GmbH, 2014, S. 157-158.

7. Ebenda, S. 159.

8. Ebenda, S. 159.

9. https://www.nachdenkseiten.de/?p=3366

10. https://de.wikipedia.org/wiki/Global_Young_Leaders_Conference#:~:text=Die%20Global%20Young%20Leaders%20Conference,Zusammenhang%20entsprechende%20F%C3%BChrungsqualit%C3%A4ten%20zu%20bilden

11. Werber, Niels: Geopolitik zur Einführung, S. 152.

12. Nolte, Paul: Was ist Demokratie?, S. 148.

13. https://www.ifamnews.com/de/george-soros-einfluss-auf-den-europaeischen-gerichtshof-fuer-menschenrechte/

14. https://www.tagesanzeiger.ch/ausland/die-arabische-revolution/wie-man-einen-diktator-stuerzt-eine-anleitung-auf-93-seiten/story/21758820?dossier_id=852

15. Ebenda.