Zum Ärger des Tages

Frieden durch Recht: vom Standpunkt 2004 zum Standpunkt 2022

Bereits im Jahr 2004 veröffentlichte Dr. Lothar Brock, damals Professor für Politikwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt, einen bemerkenswerten wissenschaftlichen Aufsatz mit dem Titel „Frieden durch Recht“, den er mit den Worten einleitet: „Die Idee, Frieden durch Recht zu sichern, ist in Bedrängnis geraten.“ (1) Im Jahr 2022 geht er noch weiter und diskutiert mit seinem Co-Autor im Artikel „Der Ukraine-Krieg und das Völkerrecht. Ist das Gewaltverbot nun endgültig tot?“ über das vermeintliche Ende des Völkerrechts. (2)

Zwischen diesen beiden Artikeln über die Rolle des Rechts bei der Friedenssicherung (aus dem Jahr 2004, nach der amerikanischen Kriegserklärung gegen den Terrorismus, und aus dem Jahr 2022, nach Russlands Einmarsch in der Ukraine) liegen fast zwanzig Jahre scharfer Konfrontation zwischen Westen und Russland. Welches von beiden mehr gegen das Völkerrecht verstößt, ist nur ein Teil der Frage. Der andere: Was ist heute von der Idee des Friedens durch Recht übrig geblieben?

Man könnte natürlich den Brocks Optimismus teilen, der behauptet, dass die großen Ideen zum Glück nicht sterben, sondern kommen immer wieder, wenn auch in einem anderen Gewand. Aber es gibt große Unterschiede in seinen Ansichten über die Idee des Friedens durch Recht im Jahr 2004 und zwanzig Jahre später. Im Jahr 2004 verteidigt Brock die Idee, Frieden durch Recht zu sichern, gegen die Willkür der Macht und stützt sich dabei auf Immanuel Kants Lehre vom ewigen Frieden. Im Jahr 2022 versucht er – ohne Optimismus – eine Frage zu beantworten, die er sich selbst gestellt: „War Kant also doch für die Katz?

Im Jahr 2004 geht er davon aus, dass die USA seit dem Ende des Kalten Krieges mit ihrem Streben nach Weltherrschaft dafür verantwortlich sind, dass die Rolle des Rechts für den Frieden in der Welt untergraben wird. Seine Besorgnis um das Schicksal des Völkerrechts in der neuen Welt begleitet er mit folgenden Worten: „Seit die US-Administration unter George W. Bush dem internationalen Terrorismus den Krieg erklärt, seit sie diesen Krieg in eine neue nationale Sicherheitsstrategie eingebunden (September 2002) und ihrer Bereitschaft zur militärischen Gewaltanwendung durch den Krieg gegen Irak (2003) erneut Nachdruck verliehen hat, wächst die Neigung, vom Diskurs über Frieden durch Recht1 zu einem Diskurs über Ordnung als imperiales Projekt überzugehen.“ Im Jahr 2022 änderte sich seine Ansicht: Nicht mehr die Vereinigten Staaten, sondern Russland trägt die ganze Schuld an der Untergrabung des Völkerrechts. Er schreibt: „Der Einmarsch Russlands in die Ukraine erschüttert erneut das Vertrauen in das Völkerrecht: Er stellt einen besonders schwerwiegenden Verstoß gegen das Gewaltverbot der UN-Charta dar.“

Im Jahr 2004 nimmt Brock eine eingehende juristische Analyse der internationalen Politik der USA vor und kommt zu dem Schluss, dass die Welt vor den Versuchen der USA geschützt werden muss, das Völkerrecht im Sinne ihrer imperialen Ambitionen zu ändern. Das ist vielleicht sein größter Verdienst: Er hat das Konzept einer unipolaren, auf der amerikanischen Hegemonie basierenden Welt rechtlich bewertet und ist dabei zu demselben Schluss gekommen wie viele prominente Politikwissenschaftler: Dieses Konzept hat keine Zukunft. Im Jahr 2022 beschränkt er sich auf typische Vorwürfe gegen ein aggressives Russland und verstrickt sich damit in eine oberflächliche Interpretation der Rechtslage des Ukraine-Konflikts. Dadurch bestätigt er die bekannte These: Wenn Politiker sprechen, müssen Juristen den Mund halten.

Umso interessanter ist es, die Entwicklung von Brocks Ansichten über die Rolle der Idee des Friedens durch Recht in der internationalen Politik zu verfolgen, auch im Lichte von Carl Schmitts Lehre über Krieg und Frieden.

In den 1990er Jahren bot sich eine einzigartige historische Gelegenheit, den Weltfrieden zu schaffen

Eine historische Chance für den Weltfrieden nach dem Kalten Krieg wurde von den Vereinigten Staaten von Amerika begraben

Hinter der Marginalisierung der UNO steht die amerikanische Strategie der Vorherrschaft

Die kollektive Friedenssicherung als Grundlage des modernen Völkerrechts ist nicht mit den imperialen Ansprüchen der USA vereinbar

War Kant also doch für die Katz?“

Jurist Carl Schmitt versus Philosoph Immanuel Kant

Carl Schmitt und die Idee des Friedens durch Recht: ein Blick in die Zukunft

1. https://www.jstor.org/stable/resrep14628

2. https://blog.prif.org/2022/12/06/der-ukraine-krieg-und-das-voelkerrecht-erneute-totsage-des-gewaltverbots/; https://www.fr.de/politik/ist-das-voelkerrecht-am-ende-91943915.html