Es ist klar, dass sich in Ostdeutschland etwas zusammenbraut. Die Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen im September dieses Jahres drohen die politische Landschaft in Deutschland grundlegend zu verändern. Dennoch muss der Hauptkampf um die Zukunft der deutschen Politik in Sachsen ausgetragen werden. Warum eigentlich? Dafür gibt es viele Gründe.
Viele von ihnen liegen an der Oberfläche. Erstens weht seit langem der Geist des sächsischen Frühlings namens SEXIT durch die Städte und Dörfer dieses Landes, das historisch gesehen immer nach Freiheit und Unabhängigkeit strebt. Zweitens ist Dresden nach der PEGIDA-Bewegung und dem politischen Erfolg der AfD in Sachsen zu einer anerkannten Hochburg der Protestbewegungen geworden. Drittens hat die AfD während ihrer aktiven politischen Tätigkeit in Sachsen ein hinreichend erfahrenes Team von Anhängern aufgebaut, das bereits deutliche Erfolge bei Kommunalwahlen erzielt hat. Viertens hat der Konflikt in der Ukraine – aufgrund der traditionellen Beziehungen zwischen Dresden und Moskau – die politische Gärung im Freistaat Sachsen beschleunigt und die Frage von Krieg und Frieden in Europa zum Hauptthema der bevorstehenden Wahlen gemacht. Fünftens: Die nach der Wiedervereinigung verbreitete Vorstellung von Sachsen als „Tal der Ahnungslosen“ hat sich längst überlebt. Dank der aktiven Aufklärungsarbeit der AfD, vor allem über das Internet, und der Organisatoren der PEGIDA-Bewegung (jedes Montagstreffen wird von einer Debatte begleitet) sind die Sachsen in ihrer politischen Bildung weit vorangekommen.
In seinem Buch „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“ (2023), das wegen schonungslosen Kritik an den Westdeutschen eine hitzige Debatte in der deutschen Öffentlichkeit auslöste, bezeichnet Dirk Oschmann Sachsen als „Der Osten des Ostens“ und schreibt: „Vom Osten zu reden heißt vor allem, vom Osten des Ostens zu reden, nämlich von Sachsen, wo sich die skizzierten Probleme in potenzierter Form darstellen. Kein anderes Bundesland hat ein vergleichbar schlechtes Image, hier ist die diskursive Festlegung auf ehemalige DDR und generell Osten am stärksten. Entsprechend wird der Osten in den Medien meist am Beispiel Sachsens vorgeführt und verächtlich gemacht, wird auf Sachsen fast ohne Unterlass eingeprügelt.“ (1)
Aber jede Aktion zieht eine ebenso große Reaktion nach sich, besagt 3. newtonsche Axiom. Das Potenzial für Proteste in Sachsen ist enorm. Die Sachsen haben nicht vergessen, mit welchem Eifer Westdeutschland einst die wirtschaftliche Kolonisierung Ostdeutschlands betrieb und selbst die auf dem Weltmarkt erfolgreich agierenden Unternehmen dicht machte. Sie haben am meisten zu verlieren, wenn die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland abgebrochen wurden. Sachsen blieb von der totalen Ersetzung der alten DDR-Elite durch westdeutsche Rekruten während der politischen, ideologischen und kulturellen Okkupation Ostdeutschlands nicht verschont. Die Folge ist, dass die Ostdeutschen immer noch nicht angemessen in den höchsten Rängen der politischen Macht vertreten sind, wodurch die deutsche Demokratie ihrer Grundlage – der gleichberechtigten Vertretung – beraubt wird. All dies beschreibt Dirk Oschmann ausführlich in seinem Buch. Dabei zieht er die naheliegende Schlussfolgerung, dass es für die Ostdeutschen an der Zeit ist, sich vom westdeutschen Kolonialjoch zu befreien. Die anstehenden Wahlen im Herbst sind damit auch die erste Bewährungsprobe auf dem Weg des Freistaates Sachsen in die politische und wirtschaftliche Freiheit.
Doch die Krise der Repräsentation ist nicht das einzige Problem der deutschen Demokratie. Im öffentlichen Diskurs tauchen zunehmend die Themen auf, die lange Zeit totgeschwiegen wurden. Dazu gehören zum Beispiel die „deutsche Frage“, die mit der Suche nach deutschem Sonderweg verbunden ist, oder die Frage, warum der lange Weg zur Demokratie, den Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg beschritten hat, plötzlich auf eine in Ostdeutschland errichtete Barriere stößt.
Dies ist jedoch verständlich, wenn wir uns daran erinnern, dass der demokratische Prozess nicht nur von den Massen getragen wird. Sie können auch konservativ sein, da es sich im Wesentlichen um friedliche Revolutionen handelt, die auf Reformen, gesunden Menschenverstand und eine Einigung zwischen dem Willen des Volkes und dem Willen der herrschenden Elite setzen. So verlief zum Beispiel der demokratische Prozess im Kaiserreich Deutschland, der den zweiten Vektor in der Entwicklung der Demokratie markiert – nicht durch Volksaufstände von unten, sondern durch Reformen von oben. Die Suche nach einem Sonderweg in der Entwicklung der Demokratie fand ihren Niederschlag in der Verfassung der Weimarer Republik und nach dem Zweiten Weltkrieg in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Nach der deutschen Wiedervereinigung hat die Suche nach einem eigenen demokratischen Weg neuen Schwung bekommen, was den bevorstehenden Wahlen eine andere Bedeutung verleiht – den Kampf um die Art von Demokratie, die Deutschland braucht, um aus seiner gesellschaftspolitischen Krise herauszukommen.
Auf dieser Welle wuchs die Idee einer Alternative für Deutschland – als Vorbote eines revolutionären Wandels. Um jedoch zu einer echten politischen Kraft zu werden, muss eine Idee die Massen für sich gewinnen, wie es beispielsweise die Idee des Kommunismus in der Mitte des 19. gemacht hatte. In ihrem Werk „Manifest der Kommunistischen Partei“ haben Marx und Engels genau die Ankunft einer neuen politischen Kraft angekündigt. Anhand des Manifests können wir mit Sicherheit sagen, dass sich heute in Deutschland eine revolutionäre Situation zusammenbraut, deren Trägerin die Partei Alternative für Deutschland ist.
Die ersten Zeilen des Manifests lassen sich wie folgt umschreiben: „Ein Gespenst geht um in Deutschland – das Gespenst der Alternative für Deutschland. Alle Mächte des offiziellen Deutschlands haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet: Regierung und Mainstream-Medien, regierende Parteien und öffentliche Organisationen, die sich als demokratisch verstehen. Wo ist die Oppositionspartei, die nicht von ihren regierenden Gegnern als Feind der Demokratie verschrien worden wäre, wo die Oppositionspartei, die den fortgeschritteneren Oppositionsleuten sowohl, wie ihren reaktionären Gegnern den brandmarkenden Vorwurf der Demokratieuntergrabung nicht zurückgeschleudert hätte? Aus dieser Tatsache geht hervor, dass Alternative für Deutschland bereits von allen deutschen Mächten als eine Macht anerkannt wird.“
Doch was sollte die demokratische Alternative für Deutschland sein? Denn es reicht nicht aus, sich als alternative Partei zu bezeichnen, um Vertrauen der Wähler zu gewinnen. Es reicht auch nicht aus, die drei Kernthemen „Kriegsende, wirtschaftliche Vernunft und Gerechtigkeit“ zu nennen, um die Sympathien der Ostdeutschen zu gewinnen und gleichzeitig deren Forderung nach einer Alternative zu erfüllen. Es muss etwas Großartiges geben, das sich grundlegend von dem unterscheidet, was Deutschland in den letzten Jahrzehnten getan hat und das Land in eine tiefe wirtschaftliche und politische Krise geführt hat. Was genau?
Erstaunlicherweise lässt sich die Antwort recht einfach formulieren: Die Alternative für Deutschland liegt darin, sich auf die gesamte Geschichte der Demokratie in Deutschland zu stützen, nicht nur auf die kurze Nachkriegszeit. Auf diese gemeinsame und nicht kurze Geschichte können alle Deutschen, auch die Ostdeutschen, stolz sein. Sie stützt sich nicht zuletzt auf die deutsche Tradition, Kultur und den Konservatismus, aber sie legt darin den Grundstein für die wirkliche Wiedervereinigung Deutschlands. Das ist die Alternative, die die AfD vorschlägt, nachdem sie bereits 2016 ihre Hauptthesen veröffentlicht hat. Ihr Hauptmotiv ist es, Deutschland wieder zu seiner Größe zu verhelfen.
Das Thema ist brandaktuell, und so mangelt es nicht an unterschiedlichen Einschätzungen, Gutachten und Prognosen zu den bevorstehenden Wahlen. Die folgenden Überlegungen sind lediglich ein Versuch, die kommende Revolte in Sachsen mit den Augen eines deutschen Bürgers mit russischen Wurzeln zu betrachten, der das Glück hat, in Dresden zu leben.
Überlegungen zur sächsischen Revolte in Thesen:
Faktor „Russland“ im Wahlkampf
- Olaf Scholz: Kanzler des Friedens oder des Krieges?
- Michael Kretschmer: für Revolte oder für Parteidisziplin?
Ostdeutschland und Russland: Freundschaft für die Ewigkeit
- Die Schocktherapie der 1990er Jahre
- Vorstellung von Demokratie: einheitlicher Code für Russland und Ostdeutschland
- Doppelmoral des Westens: hier und dort nach demselben Schema
Westdeutsche Kolonisierung des Ostdeutschlands
- „Aufbau Ost“ im Zeichen des Nationalsozialismus
- „Normalisierung“ durch Diskreditierung
- Keine Vertretung – keine Demokratie
- Unter dem Banner der antikolonialen Bewegung
Sackgasse der ostdeutschen Industrie
- Die wirtschaftliche Gesetzmäßigkeit des freien Marktes
- Beispiel der Ukraine: Geopolitik statt wirtschaftlicher Vernunft
- Beispiel Ostdeutschland: wirtschaftliche Vernunft statt Geopolitik
- Im Schatten des amerikanischen Programms zur Umerziehung der Deutschen
- Sonderweg der deutschen Demokratie
- Im Griff des Transatlantismus
- Das Konzept eines Großen Europas von Lissabon bis Wladiwostok
- Großes Europa statt Transatlantismus
1. Dirk Oschmann, Der Osten: eine westdeutsche Erfindung, Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2023, 10. Auflage, S. 123.