Bei dem Versuch, das Phänomen des Trumpismus zu erklären, wird häufig auf die Eigenschaften von Trumps Politik verwiesen, wie Populismus, Nationalismus, Konservatismus und Autoritarismus. Aber all diese Begriffe sind Teil jeder politischen Küche. Sie sind nicht in der Lage zu erklären, warum Trumps Politik zu einem Symbol des Wandels geworden ist und sogar einen eigenen Namen hat – Trumpismus.
Es gibt jedoch noch andere Phänomene, die den Trumpismus kennzeichnen. So ist beispielsweise klar, dass Trumps Politik nicht aus dem Nichts entstanden ist: Ihr gingen Krisen in allen Bereichen des internationalen Lebens voraus, von der Finanzkrise bis zur Krise der liberalen Demokratie. Die Krise wurde offensichtlich, allumfassend, global und untergrub das Vertrauen der Menschheit in die Fähigkeit des Westens, die Welt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion allein zu regieren. Es liegt auch auf der Hand, dass Trumps Politik eine Kehrtwende in der internationalen Politik symbolisiert, die sich in die Reihe der wegweisenden Phänomene in der Geschichte der politischen Macht einreiht, wie etwa den Bolschewismus und den Thatcherismus.
Im März 2017, gleich zu Beginn von Trumps erster Amtszeit, beschrieb der Politikwissenschaftler und Weltordnungsexperte Ulrich Menzel (sein Buch World Order wurde 2015 veröffentlicht) in einem Artikel für das Rotary-Magazin die Herausforderungen, vor denen die Welt damals stand, wie folgt: „Die Welt driftet auseinander und wird unregierbar. Die Stichworte dieses seit Jahren zu konstatierenden Trends lauten: Krieg in der Ukraine, Griechenland-Krise, Krieg und Staatszerfall in Irak und Syrien, Ausbreitung terroristischer Organisationen und des organisierten Verbrechens, neue Völkerwanderung, Restauration des sowjetischen Raums, Rückkehr des Rüstungswettlaufs, Krise der EU, ‚Brexit‘, Trump.“ (1)
Damals war Trump selbst das Problem der Welt. Aber was hat sich seither geändert? Praktisch nichts: Die Weltlage hat sich nur noch verschlechtert. Die vierjährige Regierungszeit des Demokraten Biden hat der Welt noch mehr Probleme beschert als die vorherige Regierungszeit von Trump. Die Menschen in der Welt warten auf Veränderung! Ist das nicht der Hauptimpuls der neuen Zeit, der sich vor allem an Amerika richtet – als führende Weltmacht, die den Kalten Krieg gewonnen und sich die Last des Aufbaus einer neuen Weltordnung auferlegt hat?
Es scheint, dass nichts den Westen daran hinderte, auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion seine Kunst zu beweisen, die Probleme der Welt zu bewältigen. Aber etwas ging schief: Es stellte sich heraus, dass es viel schwieriger war, die ganze Welt zu führen als den Teil, der in der Zeit des Kalten Krieges die westliche Welt genannt wurde. Es geht also nicht so sehr um den Trumpismus, sondern um die Überwindung einer globalen Krise der Weltordnungspolitik. Wenn wir von der Dialektik der historischen Entwicklung der Gesellschaft ausgehen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis Politiker wie Trump auftauchen und das gesamte etablierte System der Weltordnung in die Luft sprengen.
Trumps Politik ist in vielerlei Hinsicht ein Gegenentwurf zur Politik der letzten Jahre. Trump hat den Prozess der Deindustrialisierung, der mit einem politischen Begriff wie Thatcherismus assoziiert wird, durch eine Reindustrialisierung ersetzt, d. h. eine Art Anti-Thatcherismus, der Investitionen, industrielle Produktion und damit Arbeitsplätze zurück nach Amerika bringen soll. Die Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten unter dem Deckmantel der Verbreitung von Demokratie hat Trump eingeschränkt, indem er allen möglichen NGO, die an diesem Prozess beteiligt sind, die Mittel gestrichen hat. Im Gegenzug zu einer Eskalation des Krieges zwischen dem Westen und Russland schlug Trump eine friedliche Lösung des Konflikts vor. Er stellte den Kosmopolitismus dem Vorrang der Interessen des amerikanischen Volkes gegenüber. Er ersetzte die Klimaagenda durch das Wachstum der Schieferöl- und Gasproduktion. Auf die Politik der „offenen Tür“ für Migranten reagierte er mit dem Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko. Anstatt zu versuchen, Geschichte und Kultur umzuschreiben, setzte er auf gesunden Menschenverstand und traditionelle Werte. Er erklärte LBGT und anderen Erscheinungsformen des fortschrittlichen Nihilismus den Krieg und stützte sich dabei auf den inhärenten Konservatismus des amerikanischen Kernlandes. Usw.
Aber das Hauptmerkmal des Trumpismus ist vielleicht, dass er versucht, das Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft wieder ins Gleichgewicht zu bringen, von dem ein Großteil der Effektivität des Regierens abhängt. Die klassische und bewährte Formel für eine solche Governance lautet: „So viel Markt wie möglich und so viel Staat wie nötig“. Die Allgemeingültigkeit dieser Formel, die einst vom deutschen Wirtschaftsminister Karl Schiller formuliert wurde, besteht darin, dass sie für alle Formen der wirtschaftlichen Organisation gilt, einschließlich des Turbokapitalismus, der Planwirtschaft oder der sozialen Marktwirtschaft. Eine Einseitigkeit in die eine oder andere Richtung führt unweigerlich zu sozialen Problemen, so dass die Kunst der Politiker darin besteht, die innere Energie des freien Marktes auf die Bedürfnisse der Bevölkerung zu lenken.
In letzter Zeit hat sich der Westen zum Nachteil der Wirtschaft zu sehr auf die Politik konzentriert und viele Grundprinzipien der Steuerung wirtschaftlicher Prozesse in kurzer Zeit verletzt. Ist dies nicht das Hauptversagen des Westens als Manager des Weltgeschehens? Trump scheint zu versuchen, die verlorene Effizienz des Regierens wiederherzustellen, indem er der Wirtschaft den ihr zustehenden Platz in der Auseinandersetzung mit der Politik zurückgibt, insbesondere durch Wirtschaftszölle statt politischer Sanktionen, durch vorteilhafte wirtschaftliche Vereinbarungen statt ideologischer Verbote in Form von Sanktionen, durch Kosteneinsparungen bei globalistischen Projekten wie der NATO und der EU usw.
Es mag den Anschein erwecken, dass Trump, um die Politik in einen Akt wirtschaftlicher Verhandlungen zu verwandelt, übereifrig ist. Darin liegt aber auch die Logik der Dialektik, wenn wir vom dritten Newtonschen Axiom ausgehen. Es besagt: Die Kraft der Wirkung ist gleich der Kraft der Gegenwirkung. Das Prinzip der Wechselwirkung gilt in der Politik ebenso wie in der Mechanik und ist in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, einschließlich der Wirtschaft, zu beobachten. Trumps Politik ist ein Paradebeispiel dafür. Die Zeit wird zeigen, wie wirksam sie sein wird. Aber Trumps Hauptaussage lässt sich nicht leugnen: Seine Politik ist nicht ohne Logik.
Vieles von dem, was den Trumpismus heute ausmacht, wurde bereits während Trumps erster Amtszeit enthüllt, unter anderem durch Analysen im Rotary-Magazin. Natürlich sind Trumps aktuelle Politik und Trumpismus nicht dasselbe. In seinen konkreten Entscheidungen mag Trump gegen die Logik des Trumpismus verstoßen, ja er kann einfach daran gehindert werden, das umzusetzen, was ihm vorschwebt. Aber der Trumpismus als Ideologie des Wandels kann darunter nicht leiden: Der Trumpismus ist zu einem Phänomen der Zeit geworden und daher unsterblich.
„Vom Neoliberalismus zum Illiberalismus“
Trumpismus ist Anti-Thatcherismus
Institutionelle Krise des Westens
Trumpismus als Anti-Imperialismus
Trumpismus, Ressourcen und der Kampf um eine neue Weltordnung