Trumpismus, Ressourcen und der Kampf um eine neue Weltordnung

Wer die Ressourcen verteilt, bestimmt die Weltordnung. Dies ist ein weiteres Axiom in der Entwicklung der internationalen Beziehungen. Dabei geht es nicht nur um materielle Ressourcen, sondern auch um Ressourcen im Allgemeinen: menschliche, intellektuelle, finanzielle usw. Außerdem stellt die vierte industrielle Revolution nicht die materiellen, sondern die intellektuellen Ressourcen in den Vordergrund, und der Kampf um sie hat bereits begonnen. Aber sie sollten natürlich bei den materiellen Ressourcen der Welt ansetzen, deren Verteilungskontrolle sich seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion weltweit verändert hat.

Der Politikwissenschaftler Ulrich Menzel schreibt in seinem Beitrag für das Rotary-Magazin mit dem Titel „Was die Welt zusammenhält – und warum sie auseinanderbricht“ (2017) über die entscheidende Rolle von materiellen Ressourcen im Kampf um die moderne Weltordnung. Er bezieht sich nicht auf das vom Club of Rome Anfang der 1970er Jahre entwickelte Konzept der nachhaltigen Entwicklung der Menschheit, geht aber im Allgemeinen von denselben Annahmen aus: Das Wachstum der Weltbevölkerung und die Zunahme ihres Wohlstands vor dem Hintergrund der Knappheit von Ressourcen bestimmen weitgehend die Intensität der Konflikte in der modernen Welt. Menzel schreibt: „Eine wesentliche Ursache, dass die Welt einen Kipppunkt erreicht hat, ist paradoxerweise, dass in großen Teilen der Welt nachholende „Entwicklung“ stattfindet und in den alten Industrieländern unvermindert fortschreitet. Dies bedeutet Wirtschafts­wachstum, bessere Ernährung und medizinische Versorgung mit der Konsequenz von Bevölkerungswachstum bei steigender Lebenserwartung und höherem Pro-­Kopf-Einkommen. Im Laufe eines Lebens hat sich die Weltbevölkerung auf mehr als 7,5 Mil­liarden verdoppelt. Alles zusammen führt zu exponentiell steigendem Verbrauch von Böden, Rohstoffen, Energie, Wasser, Luft mit Konsequenzen für den Klimawandel, dem die ariden Gebiete besonders unterworfen sind. Daraus resultieren Verteilungs­konflikte um knapper werdende Ressourcen und neue Formen des Kolo­nialismus.“ (1)

Doch die Verschlechterung der Weltlage zieht keine entsprechende Reaktion der Weltgemeinschaft nach sich, meint Menzel. Der Bedarf nach Weltordnung wächst, während die Fähigkeit, diesen Bedarf zu bedienen, schwindet. Er hebt zwei Optionen für mögliche zukünftige Entwicklungen hervor. Die erste geht in Richtung Anarchie, die zweite in Richtung Kooperation, was den klassischen Streit zwischen zwei Paradigmen in der Entwicklung der internationalen Beziehungen – Realismus und Liberalismus – widerspiegelt. Menzel schreibt: „Dem realistischen Denken entspricht das Selbsthilfeprinzip. Jeder Staat versucht so gut er kann, seine Interessen aus eigener Kraft wahrzunehmen. Für mächtige Staaten ist dies eher möglich als für schwache, zumal sie immer die Option des Isolationismus besitzen. Dem idealistischen Denken entspricht die Kooperation der Staaten durch Verträge, internationale Organisationen, das Völkerrecht und normengeleitetes Handeln, das auf gemeinsamen Werten beruht. Das Recht ersetzt die Macht.“

Da sich die Staaten ungleichmäßig entwickeln, hält Menzel die zweite Option für vorteilhafter und plädiert daher für ein hegemoniales Modell der Ressourcenverteilung. Er schreibt: „Wenn man die Hierarchie der Staatenwelt als wesentlicher ansieht, weil die Staaten in nahezu jeder Hinsicht ungleich sind, bieten sich das hegemoniale und das imperiale Modell an. Die großen Mächte sorgen stellvertretend für den Weltstaat für Ordnung. Der (benevolente) Hegemon stützt sich auf seine überragende Leistungs­fähigkeit und die Akzeptanz der Gefolgschaft, weil er die Ordnung durch die ­Bereitstellung internationaler öffentlicher Güter garantiert, in deren Genuss die Gefolgschaft nahezu kostenlos gelangt.“

Das imperiale Modell wurde während des Kalten Krieges gut funktioniert – als zwei Imperien, das amerikanische und das sowjetische, für die Ressourcenverteilung zuständig waren. Menzel schreibt: „Die USA haben die Rolle des Hegemons nach 1945 über die westliche Welt und nach 1990 über die gesamte Welt eingenommen. Das Imperium nimmt seine Ordnungsfunk­tion über Herrschaft wahr, liefert nur Clubgüter für die Unterworfenen und stützt sich dabei auf deren Ressourcen. Die Sowjetunion gehörte zwischen 1945 und 1990 zu diesem Typ. … Die bipolare Konstellation bis 1990 bedeutete, dass die USA internationale öffent­liche Güter bereit gestellt haben und die Sowjetunion regionale Clubgüter für die Staaten des Warschauer Paktes.“

Menzel zieht seine wichtigste Schlussfolgerung: „Damit konzentriert sich die Frage interna­tionaler Ordnung darauf, wer, wie und in wessen Interesse internationale öffentli­che Güter wie (militärische) Sicherheit und (wirtschaftliche) Stabilität bereitstellt.“ Unter diesen Gesichtspunkten untersucht er die Entwicklung der Weltordnung seit dem Ende des Kalten Krieges. Die Chancen für den Westen, zum einzigen verlässlichen Regulator bei der Verteilung der Güter der Welt zu werden, standen nicht schlecht. Menzel schreibt: „Die unipo­lare Konstellation nach 1990 hat die Reichweite der von den USA bereitgestellten öffentlichen Güter ausgedehnt. Dazu gehörten u. a. die Garantie eines Welthandels- und Weltfinanzsystems mit dem US-Dollar als Weltgeld und den USA als letz­tem Kreditgeber, die Sicherung der Tan­kerrouten zum Persischen Golf, die Offerierung eines globalen Kommunikations-, Informations- und Orientierungssystems durch Internet und GPS. Seit den Anschlägen des 11. September 2001 war die Rolle des Weltpolizisten hinzu gekommen, der mit seinen Drohnen und Geheimdiensten den War on Terror führt.“

Aber die USA scheiterten in ihrer neuen Rolle: Die Last war zu groß. Menzel schreibt: „Mit Antritt der Obama-Administration mehrten sich die Indikatoren (Doppel­defizit von Haushalt und Handel), dass die USA nicht mehr in der Lage und bereit sind, allein die Rolle des Hegemons zu spie­len. Es liegt daran, dass ihre wirtschaftli­che Leistungsfähigkeit durch den Verdrän­gungs­wettbewerb der neuen Industrielän­der in Asien, allen voran China und In­dien, geschwächt wird und dass die Nachfrage nach internationalen öffentlichen Gütern weiter wächst. Aus dem Dilemma ­zwischen Status- und Positionsverlust resultierte die Forderung nach Lastenteilung, die sich an die Freerider richtet. Für ein Land von der Größe der USA besteht auch die Alternati­ve des Isolationismus. Aus dem „Battleship USA“ würde die „Fortress USA“, aus „Ameri­ka as No. 1“ „Amerika first“. Trump bevorzugt diese Alternative, ist bereit, die Position der Führungsmacht zu opfern, um den Status der Industriemacht zu behaupten.“

Trumps Isolationskurs bedeutet das Ende einer auf Hegemonie basierenden Ordnung, in diesem Fall der amerikanischen Hegemonie. Menzel schreibt: „Wenn er tatsächlich den angekündigten isolationistischen Kurs realisiert, die internationalen Abkommen und Organisationen aufkündigt, die die USA nach 1945 selber ins Leben gerufen haben, dann gibt es niemanden, der die internationalen Güter bereitstellt, der die Welt zusammenhält. Wenn er die westliche Wertegemeinschaft infrage stellt, verlieren die USA ihre Soft power, die eine Hegemonialmacht auszeichnet. An die Stelle der idealistischen Idee, dass durch Kooperation alle gewinnen können, tritt das realistische Selbsthilfeprinzip, das die Weltpolitik als Nullsummenspiel begreift. Was der eine gewinnt, muss der andere verlieren. Insofern erleben wir jetzt das Ende der Nachkriegsordnung.“

Wenn die USA verlieren, gewinnt China. Menzel stellt – nicht ohne Bedauern – fest: „Der Umbruch der Jahre 1989/90 war gar nicht so fundamental, weil er „nur“ zur Ausdehnung der liberalen amerikanischen Weltordnung auf Kosten des sowjetischen Imperiums führte. Der Kandidat, künftig eine neue Ordnung zu errichten, ist China. Doch wird diese sich nicht an den Kriterien der westlichen Wertegemeinschaft orientieren.“

Die Tatsache ist, dass China aktiv dabei ist, sein eigenes, vom Westen unabhängiges System zur Verteilung der weltweiten Ressourcen zu schaffen. Das macht es zu einem Vorreiter bei der Schaffung einer neuen Weltordnung. Menzel schreibt: „China, dessen Sozialprodukt etwa im Jahre 2030 das amerikanische übertreffen wird, wäre der erste Kandidat für Lastenteilung. Da China aber anders als Japan, das in den 1980er Jahren als der wirtschaftliche Herausforderer galt, kein Juniorpartner ist, sondern eigene Ambitionen hegt, verweigert es auf allen Feldern eine Lastenteilung, die nicht in chinesischem Interesse liegen. Chinas Aktivitäten konzentrieren sich auf Zentralasien („Neue Seidenstraße“), den asymmetrischen Handel mit Russland, Subsahara-Afrika, das Rote Meer und den Persischen Golf. Dazu investiert es in die Rohstoffsektoren vieler Länder, betreibt Auswanderung, um deren Binnenwirtschaft zu durchdringen, unterhält Beziehungen zu sogenannten Schurkenstaaten, die unter dem Druck des Westens stehen… Das chinesische Modell, das wirtschaftliche Erfolge mit einem autoritären politischen System verbindet, ist attraktiv für afrikanische und asiatische Despoten.“

Auf China folgt Russland, aber, so Menzel, aus eigenem Interesse: „Sein Engagement ist nicht Lastenteilung mit den USA, sondern die Reduktion der US-Hegemonie.“ Der Grund für diese Politik Russlands ist der Versuch, den in den 1990er Jahren verlorenen Status einer Weltmacht wiederzuerlangen. Laut Menzel: „Nach Überwindung der Transformationskrise der Jelzin-Ära verfolgt es eine revisionistische Politik der Rückgewinnung ehemaligen sowjetischen Einflusses.“

Der Kampf um eine neue Weltordnung nach dem Ende des Kalten Krieges basierte also auf einem neuen Kampf um Ressourcen. China, Russland und andere Länder besetzen aktiv die Nische, die Amerika aufgrund seiner isolationistischen Politik freiwillig für sie freimacht. Einerseits sind die USA dazu nicht mehr in der Lage, andererseits droht Trump mit seinem Isolationismus selbst das zu zerstören, was der Westen seit dem Ende des Kalten Krieges geschaffen hat. Gibt es da eine Logik?

Diese Logik ist in Menzels Argumentation schwer zu finden. Er bleibt dem westlichen Narrativ von der imperialen Aggressivität Russlands und den besonderen Ambitionen Chinas treu. Das Schlimmste aber ist, dass diese beiden Weltmächte die westlichen Werte ablehnen, insbesondere die liberale Idee, eine Ordnung zu schaffen, die auf gemeinsamen Normen und Werten für die ganze Welt beruht. Damit sind natürlich westliche Normen und Werte gemeint. Dies ist im Wesentlichen die so genannte regelbasierte Ordnung, die der Westen seit dem Ende des Kalten Krieges zu etablieren versucht. Für die Vertreter des Westens, die daran gewöhnt sind, westliche Werte als universell zu betrachten, erscheint eine solche Ordnung vielleicht ganz logisch und sogar unvermeidlich. Doch für die Entwicklungsländer haben westliche Werte seit langem den „Geruch“ von Putschen und farbigen Revolutionen, und sie verbinden die liberale Idee mit Neoliberalismus und dem „Washington Konsensus“, d.h. im Wesentlichen mit Neokolonialismus. Sie sind auf der Suche nach einer Alternative zur regelbasierten westlichen Ordnung und bilden eine Protestbewegung. Der Trumpismus wird unweigerlich mit hineingezogen, wie die durch Trumps „unberechenbare“ Politik ausgelöste Panik zeigt.

1. https://rotary.de/gesellschaft/was-die-welt-zusammenhaelt-und-warum-sie-auseinanderbricht-a-10374.html