Leider wies Ther (S. „Vom Neoliberalismus zum Illiberalismus“) nicht auf das Hauptmerkmal des Neoliberalismus hin, der in den 1930er Jahren entstand und in den 1980er und 1990er Jahren als Ideologie aus dem Wirtschaftsliberalismus hervorging, der bekanntlich für einen freien Markt und minimale staatliche Eingriffe in die Wirtschaft eines Landes eintritt. Der Wirtschaftsliberalismus hat Hunderte von Jahren hinter sich, während der Neoliberalismus erst einige Jahrzehnte alt ist. Der Neoliberalismus ist in erster Linie eine Politik, die darauf abzielt, die Volkswirtschaften der rückständigen Länder auf die Gleise einer liberalen Wirtschaft zu bringen und ihre Türen für internationale und vor allem westliche Investitionen zu öffnen, nachdem zuvor in diesen Ländern Deregulierung und Privatisierung durchgeführt wurden. Nach Chile folgten weitere Länder, darunter China, und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion umfasste die Liste automatisch alle Länder des ehemaligen sozialistischen Lagers.
Mit anderen Worten: Die finanzielle Expansion des Westens in Form von Investitionen sollte zusammen mit anderen Arten von Interventionen, einschließlich militärischer Interventionen, die Integration aller Länder der Welt in ein einheitliches westliches Wirtschaftssystem erleichtern. Vielleicht ist dies die Hauptidee des Neoliberalismus: eine gemeinsame wirtschaftliche Basis für die politische Globalisierung zu schaffen, d.h. auf der Grundlage des neoliberalen Wirtschaftsmodells eine Weltgemeinschaft von liberal-demokratischen Ländern aufzubauen, die, wie man gemeinhin glaubt, friedlich leben und sich nicht gegenseitig bekämpfen.
„Finanzielle Expansion um des Friedens willen“ – so kann man die innere Logik des Neoliberalismus bezeichnen, die den Einsatz der Schocktherapie um des Friedens und des Wohlstands in der Zukunft willen rechtfertigen soll. Diese Logik hat ihren eigenen ideologischen Inspirator – den berühmten Liberalen Friedrich von Hayek, dessen Überlegungen im Grunde des Neuliberalismus als wirtschaftliches Modell liegen. Sie werden von dem deutschen Soziologen Wolfgang Streeck in seinem Buch „Gekaufte Zeit“ (2013) zitiert, in dem er Hayeks Aufsatz „The Economic Conditionns of Interstate Federalism“ (1939) analysiert.
Dieses Werk von Hayek, schreibt Streeck, beginnt mit der Frage nach den Bedienungen der Möglichkeit einer stabilen internationalen Friedensordnung. Diese sei auf Dauer nur mittels einer zwischenstaatlichen Föderation zu gewährleisten, die stark genug sein müsse, um nach innen Konflikte zwischen ihren Mitgliedstaaten zu schlichten und nach außen deren kollektive Sicherheit zu garantieren. Erforderlich dafür sei eine gemeinsame Verteidigungs- und Außenpolitik, die in den Händen einer Zentralregierung liegen müsse. Dabei gebe es kein historisches Beispiel von Ländern mit einer gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik ohne eine gemeinsame Wirtschaftsordnung.
Die Frage ist also, wie ein solches Regime aufbauen sollte? Die Antwort auf diese Frage, so Streeck, bildet den Kern der Hayeks Argumentation. Zunächst zeigt Hayek, dass eine gemeinsame Wirtschaftsordnung ohne Binnenzölle und mit Freizügigkeit für Menschen und Kapital die Reichweite und Eingriffstiefe der Wirtschaftspolitik jedes ihrer Mitgliedstaaten eng beschränken muss. „Daran anschließend, zweitens, legt er daran, dass die politischen Angriffe in den Markt, die auf einzelstaatlicher Ebene ausgeschlossen werden müssten, nicht auf die Ebene der Föderation verlagert werden könnten, um dort gewissermaßen ersetzen zu werden.“ Das bedeutet, dass „bestimmte wirtschaftliche Zuständigkeit, die heute im Allgemeinen von den Nationalstaaten ausgeübt werden könnten“, etwa die Förderung einheimischen Produkten, weder von der Föderation noch von den Einzelstaaten ausgeübt werden müssen, weil das „zu weit gehende Auswirkungen auf die Föderation als ganze haben würden“. (1)
Es sei auch nicht möglich, dass die Mitgliedstaaten eine eigene Geldpolitik betreiben. Des Weiteren werde der Wettbewerb dafür sorgen, dass kein Staat seine Wirtschaft allzu stark mit Regulierung belasten könne, etwa durch Regulierung der Arbeitszeit, zu hohe direkte Steuern oder Einführung von Grenzkontrollen. Ähnlichen Restriktionen würden auch deren Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften unterliegen: Wenn erst einmal die Grenzen geöffnet sind und Bewegungsfreiheit gesichert ist, verlieren alle nationalen Organisationen dieser Art, ob Gewerkschaften, Kartelle oder Berufsverbände, ihre monopolische Stellung und ihre Fähigkeit, das Angebot ihrer Dienstleistungen oder Produkte zu kontrollieren.
Die Föderation bedeutet aber auch eine unvermeidliche Liberalisierung, also die Politisierung der aufbauten Wirtschaftsordnung. Es wurde so argumentiert, dass in einer Föderation von Nationalstaaten die Vielfalt der Interessen so groß ist, dass das Gefühl einer gemeinsamen Identität, das die Interessenkonflikte überbrücken sollte, schwächer sein könnte als nationale Interessen. Schutzzölle für einzelne Industrien verlangen beispielsweise Opfer der Wirtschaftsgesellschaft als Ganze in Gestalt höherer Preise. Unter Landsleuten mögen diese akzeptabel sein; in einer Föderation aber ist das anders. Dasselbe gilt für viele andere wirtschaftspolitische Eingriffe, etwa die Begrenzung der Arbeitszeit oder Pflichtversicherung gegen Arbeitslosigkeit: Von derartigen Maßnahmen könnten die reichen Regionen profitieren, aber von den anderen einen heftigen Widerstand hervorrufen.
Föderation bedeutet, dass keine Regierung, besonders in reichen Regionen, das Recht haben kann, das Wirtschaftsleben sozialistisch zu planen. Grob zu sagen, die homogenen, durch nationale Tradition und Identität ermöglichen Eingriffe in das soziale und wirtschaftliche Leben der Föderation als eine heterogenere politische Einheit nicht akzeptiert würde. Die politische Liberalisierung der Föderation ist also notwendig.
Das von Hayek entwickelte Argumentation, so Streeck, beginnt als Darlegung der wirtschaftlichen Voraussetzungen einer internationalen Friedensordnung und endet, indem es begründet, warum eine Föderation von Staaten, wenn sie zusammenhalten soll, notwendigerweise wirtschaftspolitisch liberal sein muss. Mit dem Nationalismus muss so zugleich auch der Sozialismus überwunden werden. Die einzige Art von Demokratie kann nur eine strikt liberale, die Freiheit der Märkte respektierende sein, weil nur eine solche den inneren und äußeren Frieden innerhalb einer Föderation von Staaten zu bewahren vermag.
Streeck beschreibt die Entstehung des neoliberalen Projekts, das später als Thatcherismus bezeichnet wurde, als einen Übergang von der keynesianischen zur hayekianischen politischen Ökonomie. Dies war, so Streeck, ein institutioneller Wandel: von Keynes zu Hayek. Zur Erinnerung: John Maynard Keynes war einer der einflussreichsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts und schuf seine eigene Wirtschaftsschule, den Keynesianismus. Die keynesianische mixed economy der Nachkriegsjahrzehnte, so Streeck, verfügte „über ein ausgebautes institutionelles Instrumentarium für diskretionäre staatliche Interventionen in die nationalen Volkswirtschaften, insbesondere für politisch motivierte Eingriffe in die Verteilung der Produktionsergebnisse und Lebenschancen“. Streeck schreibt: „Zentrale Institutionen der politischen Ökonomie der keynesianischen Epoche waren die korporatistisch institutionalisierten Interessenverbende von Arbeit und Kapital sowie die zwischen ihnen eingerichteten Verhandlungssysteme. … Hierfür brauchte der keynesianische Staat starke, umfassend organisierte Gewerkschaften, denen er entsprechend vielfältige Organisationshilfe gewährte.“ (2)
Der Übergang von Keynes zu Hayek bedeutete das Ende des Wirtschaftsmodells der Nachkriegsjahrzehnte, das in Deutschland das Phänomen des Wirtschaftswunders hervorbrachte. Zur Frage, was aus den Institutionen eines so erfolgreichen Wirtschaftsmodells geworden ist, schreibt Streeck: „Die neuliberale Revolution hat von alledem so gut wie nichts übrig gelassen. Ihr Ziel war es, die Staaten des Nachkriegskapitalismus möglichst weit zurückzuschneiden, sie funktional auf die Ermöglichung und Erweiterung von Märkten zu reduzieren und die institutionell unfähig zu machen, in die selbstregulierende Durchsetzung von Marktgerechtigkeit korrigierend einzugreifen.“ (3)
Streeck geht nicht auf die Einzelheiten des Wirtschaftsprojekts der Chicagoer Schule (Ökonomie) ein, das die Grundlage für die Politik von Thatcher und Reagan bildete. Dennoch sind die Fehler in der Logik des Neoliberalismus für ihn offensichtlich. Erstens steht der Neoliberalismus im Widerspruch zum demokratischen Prozess in Europa, was am Beispiel der modernen Europäischen Union deutlich wird, die, wie Streeck meint, nach der Hayekschen Entwurf geschaffen wurde. Die Interessen demokratisch gewählter nationaler Regierungen decken sich möglicherweise nicht mit denen der EU, die sich seit den 1980er Jahren für eine globale Liberalisierung der Weltwirtschaft einsetzt. „Der Zweck des Ganzes, dessen Erreichung immer näher rückt, so Streeck, ist die Entpolitisierung der Wirtschaft bei gleichzeitiger Entdemokratisierung der Politik.“ (4)
Natürlich stößt diese Politik regelmäßig auf den Widerstand der nationalen Parlamente und der Oppositionsparteien, was die Frage aufwirft, was für ein Europa das sein soll: eine marktkonforme Demokratie oder doch ein demokratiekonformer Markt? Streeck schreibt: „Der europäische Konsolidierungsstaat des beginnenden 21. Jahrhundert ist kein nationales, sondern ein internationales Gebilde – ein die ihm angeschlossenen Nationalstaaten regulierendes Regime ohne demokratisch verantwortliche Regierung, dafür aber mit bindenden Regeln: mit governance statt government, wobei Demokratie durch Märkte domestiziert wird statt umgekehrt Märkte durch Demokratie.“ (5)
Die Schlussfolgerung von Streeck auf der letzten Seite seines Buches ist mehr als fundiert. Er schreibt: „Im Westeuropa von heute ist nicht mehr der Nationalismus die größte Gefahr, schon gar nicht der deutsche, sondern der hayekianische Marktliberalismus. Die Vollendung der Währungsunion (d.h. die endgültige Beseitigung des „Restes des Nationalstaates“ aus der EU-Politik, Anm. d. Autors.) würde das Ende der nationalen Demokratie in Europa besiegeln – und damit der einzigen Institution, die noch für die Verteidigung gegen den Konsolidierungsstaat genutzt werden könnte.“ (6) Ist das nicht das Hauptproblem des politischen Projekts namens EU, das der Prototyp einer Weltregierung sein sollte? Die nationale Demokratie in Europa hat sich als zu widerstandsfähig erwiesen, um sich klaglos der vollständigen Kontrolle durch die EU zu unterwerfen. Die Revolte gegen die Brüsseler Bürokratie wird immer größer.
In dieser Rebellion liegt der Hauptfehler Hayeks: Er hoffte, dass sein Ideal des friedlichen Zusammenlebens auf der Erde von der gesamten Weltgemeinschaft bereitwillig angenommen würde. Streeck schreibt: „Hayeks Denkfehler in seinem Entwurf einer sich selbst zur Liberalisierung zwingenden internationalen Föderation war, dass er glaubte, alle beteiligten Nationalgesellschaften würden und wollten in den von der Zentralregierung um des lieben Friedens willen einzurichtenden freien und allgemeinen Markt und Wettbewerbsregime passen und könnten deshalb dazu gebracht werden, ihre kollektiven Partikularinteressen und -identitäten in ihm aufgehen zu lassen.“ (7)
Übrigens war der einflussreichste Vertreter der Chicagoer Schule, der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Milton Friedman, dessen Ideen die Politik des Thatcherismus weitgehend bestimmten, durchaus realistisch, was die Fähigkeit des freien Marktes zur eigenständigen Lösung aller sozialen Probleme anging. Er war sich sehr wohl bewusst, dass freie Märkte bestimmte Regeln und Rahmenbedingungen brauchen, die ein Eingreifen des Staates erfordern. Darüber schrieb er unter anderem in seinem Buch „Kapitalismus und Freiheit“ (1962), das zu einer Art Anleitung für die Reformen von Thatcher und Reagan wurde.
Zweifellos hatte Friedman die Argumentation von Hayek gut gelernt, wie sich an die Maxime, die er im Vorwort zur deutschen Ausgabe seines Buches (1971) formulierte, leicht nachvollziehen lässt. Friedman schreibt: „Dennoch hat nichts im letzten Jahrzehnt meine Meinung darüber geändert, dass die Bewahrung der individuellen Freiheit das Hauptziel aller sozialen Einrichtungen ist; dass staatliche Eingriffe in die private Sphäre die größte Bedrohung für diese Freiheit ist; dass freie Märkte für Güter und Ideen die entscheidende Vorbedienung für die individuelle Freiheit bleiben.“ (8) Mit anderen Worten: Die wirtschaftliche Freiheit macht einen bedeutenden Teil der ganzen Freiheit aus, sie führt zu mehr politischer Freiheit und ist daher eine Voraussetzung für diese. Zurück zu Hayek: Ohne politische Liberalisierung kann es keinen freien Markt geben.
Friedman war jedoch der Ansicht, dass die wirtschaftliche Freiheit einen Rahmen benötigt, in dem die individuellen Rechte der Menschen, einschließlich der Eigentumsrechte, verankert sind. In diesen Regeln muss die Freiheit des einen eingeschränkt, um die Freiheit des anderen sicherzustellen. Das gleiche Prinzip sollte auch in der Wirtschaft gelten, um den freien Wettbewerb der Teilnehmer zu gewährleisten. Genauer gesagt ist es notwendig, Kartelle zu verbieten und marktbeherrschende Unternehmen zu kontrollieren, die den Wettbewerb beeinträchtigen könnten. Der Kampf gegen Monopole ist ein spezielles Thema, dem Friedman in seiner Argumentation viel Raum widmete. Der Staat sollte für die Organisation eines freien Marktes mit freiem Wettbewerb zuständig sein, dem Friedman die Rolle des Spielleiters und Schildrichters zuschreibt: „Die Regierung ist einmal wichtig als das Forum, das die „Spielregeln“ bestimmt, und zum anderen als der Schiedsrichter, der über die Regeln wacht und sagt, ob sie auch richtig ausgelegt wurden“. Friedman zufolge geht es um Macht als ein echtes System von „Checks and Balances“, was im Prinzip mit der klassischen Formel einer effizienten Wirtschaftsführung übereinstimmt: „So viel Markt wie möglich und so viel Staat wie nötig.“ Zur Voraussetzung eines fairen Wettbewerbs gehört auch die Aufhebung der amerikanischen Handelsbeschränkungen. Eine weitere wichtige Beobachtung von Friedman: „Die Macht des Federal Reserve System eng begrenzt sein würde“. (9)
Doch Friedmans Traum von einem freien Markt mit freiem Wettbewerb hat sich nicht erfüllt: Die wirtschaftliche Freiheit in Form des neoliberalen Wirtschaftsmodells hat nicht zu politischer Freiheit geführt. Zu diesem Schluss kam er zu Beginn des 21. Jahrhunderts, als er die Entwicklung der Weltwirtschaft nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Blocks beobachtete. Im Vorwort zur neuen deutschen Ausgabe seines Buches (2002) schreibt er: „Seit der Fertigstellung dieses Buches hat mich die Entwicklung in Hongkong bis zur Rückgabe an China davon überzeugt, dass zwar die wirtschaftliche und Freiheit eine notwendige Voraussetzung für bürgerliche und politische Freiheit ist, jedoch die politische Freiheit – so wünschenswert sie auch sein mag – keine unabdingbare Voraussetzung für die wirtschaftliche und bürgerliche Freiheit ist.“ (10)
Die britische und US-amerikanische Politik der wirtschaftlichen Liberalisierung Chinas – in der Hoffnung auf einen politischen Wandel und die Integration dieses Landes in die Gemeinschaft der westlichen Demokratien – ist völlig gescheitert. Das ist heute eine mehr als offensichtliche Tatsache. Mit anderen Worten: Hayeks Idee einer globalen politischen Liberalisierung, wie sie sich im Thatcherismus widerspiegelt, hat die Bewährungsprobe nicht bestanden. Dies zeigte sich insbesondere in der Finanz- und Fiskalkrise von 2008, die Streeck auf die „Auflösung des Regimes des demokratischen Kapitalismus der Nachkriegszeit“ und den Übergang zur so genannten Politik der „Finanzialisierung“ (Monotheismus) zurückführt. Die aktive Investition von Geld in Entwicklungsländern, die zu Fabriken für billige Produktion geworden sind, wurde von Federal Reserve System aktiv unterstützt, ganz zu schweigen vom Internationalen Währungsfonds. Mit Geld konnte sich die neue Politik Zeit erkaufen, „indem sie dem neoliberalen Gesellschaftsprojekt als Konsumgesellschaft zunächst durch Inflationierung der Geldmenge, dann durch steigende Staatsverschuldung und schließlich durch freizügige Kreditvergabe an private Haushalte eine Art von Massenloyalität sicherte“. Doch für eine solche Politik gibt es keinen Spielraum mehr, um weiter Zeit zu gewinnen, so Streeck. Nachdem England und die Vereinigten Staaten ihre eigene Produktion zerstört haben, müssen sie nun die Rechnung bezahlen. (11)
In der Tat verliert der Neoliberalismus als Wirtschaftsmodell der Zukunft nun rasch seinen Heiligenschein der Alternativlosigkeit. Der Thatcherismus wird durch den Trumpismus ersetzt – als Antipode des politischen Projekts der Liberalisierung des gesamten Planeten, als Anti-Thatcherismus, der die amerikanischen Interessen über die Utopie stellt, durch den freiwilligen (oder nicht freiwilligen) Verzicht auf die Identitäten und kollektiven Interessen der Nationen Frieden auf der Erde zu schaffen. Indem er diese Form der Globalisierung bekämpft, zerstört Trump nicht nur den Thatcherismus als politisches Projekt, sondern auch den Glauben der Liberalen, angeführt von Hayek, an die Möglichkeit des Aufbaus einer weltweiten liberalen Demokratie als Allheilmittel für alle Kriege und Konflikte.
Trumps Rückkehr zu Dielen und Zöllen anstelle der politischen Globalisierung (militärisch oder durch farbige Revolutionen) – das scheint die Essenz des Trumpismus zu sein, diktiert von der Dialektik der effizienten Wirtschaft. Tatsächlich ist es die einst boomende Wirtschaft Amerikas, die dieses Land wirklich groß gemacht hat. Der Logik des Trumpismus folgend, braucht Trump keine militärischen Konflikte und farbigen Revolutionen mit Regierungswechseln, die in letzter Zeit nur Verluste statt Gewinne gebracht haben. Zumindest braucht er keine militärischen Auseinandersetzungen, bis Amerika wieder groß ist. „Heiße“ Kriege sollten durch „kalte“ Handelskriege ersetzt werden, wie es in der Zeit des Kalten Krieges der Fall war. Der Zollkrieg in seiner extremen Form ist für Trump notwendig, um den Investitionsfluss umzukehren, der seit Thatcher und Reagan von West nach Ost fließt.
Das ist vielleicht die Hauptintrige des Trumpismus als neues politisches Projekt, das den Thatcherismus überwinden soll: Wird Trump es schaffen, dies in einer Amtszeit zu erreichen? In den fast fünfzig Jahren seines Bestehens ist es dem Thatcherismus gelungen, sich mit einer großen Zahl einflussreicher Institutionen, die von Tausenden gut ausgebildeter Kader geleitet werden, gut zu verankern. Und amerikanische Unternehmensriesen, die die Rolle von Global Players übernommen haben, wie Apple, Amazon, Google, Facebook, YouTube oder der Chip- und Grafikprozessorhersteller Nvidia, werden nicht freiwillig auf die enormen Gewinne verzichten, die ihnen die internationale Arbeitsteilung einbringt.
Für Trump gibt es also nur einen Ausweg: die Funktionsweise der Thatcher’schen Institutionen, einschließlich der Fed, zu ändern und den Appetit der Global Players zu zügeln, indem man ihnen den Weg zu den Billigfabriken versperrt. Nur so kann er sie wieder für Amerika gewinnen. Das Spiel ist global, das Risiko ist hoch, aber es steht auch sehr viel auf dem Spiel: die Veränderung der gesamten Weltordnung.
1. Wolfgang Streeck: Gekaufte Zeit, Suhrkamp Verlag Berlin 2013, S. 141-145.
2. Ebenda, S. 157-158.
3. Ebenda, S. 157-158.
4. Ebenda, S. 164.
5. Ebenda, S. 163.
6. Ebenda, S. 163.
7. Ebenda, S. 246.
8. Milton Friedman, Kapitalismus und Freiheit, Piper Verlag GmbH, München/Berlin, 2004, S. 19.
9. Ebenda, S. 38, 52, 67.
10. Ebenda, S. 18
11. Wolfgang Streeck, S. 10, 15-16, 26.