Trumpismus als Anti-Imperialismus

Es gibt keinen alten Westen mehr. Die Erkenntnis dieser Tatsache ist bereits während Trumps erster Amtszeit als Präsident zu einem globalen politischen Axiom geworden. Darüber gibt es unterschiedliche Meinungen, aber das Gefühl ist dasselbe: Es gibt kein Zurück mehr.

Die Logik der Veränderungen, die Donald Trumps Machtübernahme mit sich bringt, hat General a.D. Klaus Naumann in seinem Artikel für das Rotary-Magazin mit dem Titel „Eine historische Herausforderung“ (2017) auf den Punkt gebracht. Er schreibt: „Schon wenige Tage nach der Amtseinführung Donald Trumps waren sich die meisten Beobachter darin einig, dass seine Präsidentschaft den Beginn einer neuen Ära markiert. Trumps Botschaft sowohl in seiner Rede am 20. Januar als auch in den ersten Tagen seiner Regentschaft ist eindeutig: „Von heute an gilt: America first. Jede Entscheidung im Handel, zu Zöllen, zur Einwanderung und in der Außenpolitik wird nur ein Ziel haben: Sie muss dem amerikanischen Arbeiter und den amerikanischen Familien Vorteile bringen.““ (1)

Damit reiht sich Trump in die Riege von Nationalisten wie Putin, Erdogan, Xi Jinping und anderen Vertretern so genannter autoritärer Regime ein, die im tödlichen Kampf mit den Globalisten stehen. Auf der einen Seite geht es um die Verteidigung nationaler Interessen angesichts der Globalisierung, auf der anderen Seite um den Aufbau eines globalen Imperiums, wie auch immer man es nennen mag. Die Folgen dieser Wende in der internationalen Politik für Amerika liegen auf der Hand. Der General schreibt: „Mit einer Rückkehr zum Nationalismus und der Abkehr von ihren Bündnissen würden die USA ihre Führungsrolle in der Welt aufgeben und sich selbst, genau 100 Jahre nach dem Beginn ihres Aufstiegs zur Weltmacht durch ihren Eintritt in den Ersten Weltkrieg, zu einer Regionalmacht machen, allerdings einer mit globalen Handlungsmöglichkeiten.“ Daraus zieht der General seine wichtigste Schlussfolgerung: „Mit Präsident Trump scheinen sich die USA endgültig von ihrer Rolle als Hüter und Garant der globalen Ordnung zu verabschieden.“

Eine solche Politik von Trump, da ist sich der General sicher, verheißt nichts Gutes für Amerika und Europa, denn: „Das alles geschieht in einer Welt, die unsicherer und weniger kalkulierbar ist als je zuvor seit Ende des Kalten Krieges. Das Wertemodell des Westens, die beste und freiheitlichste Lebensordnung, die es je gab, ist unter Beschuss der Nationalisten und Populisten, hier in Europa. Aber auch in anderen Teilen der Welt und in Asien erzeugt der Rückzug der USA ein konfliktträchtiges Vakuum; er stärkt China, obwohl Trump es eindämmen möchte. Wir erleben also eine Zeitenwende, möglicherweise eine Abkehr der USA von ihrer Rolle als Garant europäischer Sicherheit.“

Nach Ansicht des Generals wäre dies ein völliger Fehler für die USA, denn: „Ein amerikanischer Präsident, der die gestaltende und ausgleichende Rolle der USA in Europa aufgibt, macht Amerika nicht groß, sondern klein. Das Ende amerikanischen Einflusses in Europa wäre das Ende der globalen See- und Handelsmacht USA, also der Weltmacht USA.“ Mit anderen Worten: Es gibt nichts ohne Amerika; die Sicherheit in Europa kann nur in Zusammenarbeit mit Nordamerika bestehen. Der Vorschlag des Generals zur Lösung der Situation klingt wie ein Befehl: „Selbstbewusst sollte Europa durch sei­ne jetzt nötigen Taten den amerikanischen Präsidenten auffordern, in diesem globalen Wettbewerb auch weiterhin an Europas Seite zu stehen, denn so könnten man einen „Deal“ erreichen, der größer ist als alles, was er am 20. Januar seinen Amerikanern versprochen hat: „Make the West great again.““

Der Deal „Make the West Great Again“ schließt jede Vereinbarung zwischen den USA und Russland aus. Der General schreibt: „Trump wird vermutlich sehr schnell erkennen, dass jeder „Deal“ mit Putin – etwa bei den für Russland schmerzhaften Ukraine-Sanktionen oder bei dessen Ziel, bestimmenden Einfluss vom Nahen Osten bis zum Persischen Golf zu gewinnen – die Gefahr in sich birgt, den Einfluss der USA aufzugeben.“ Auf diese Weise nahm der General in vielerlei Hinsicht die aktuellen Ereignisse um die Ukraine vorweg, die seit dem Ende des Kalten Krieges zu einem Schlachtfeld zwischen Globalisten und Nationalisten geworden ist. In der Ukraine entscheidet sich, wie der prominente amerikanische Geopolitiker Zbigniew Brzezinski argumentierte, das Schicksal der neuen Weltordnung: Soll sie global oder multipolar sein, unter Beteiligung Russlands, Chinas und anderer Weltmächte? Der Nationalist Trump trat mit dem Slogan „Make America Great Again“ in die große Politik ein, während die Globalisten diesen Slogan in einen anderen Bereich umwandeln möchten: „Make the West Great Again“. Was ist das, wenn nicht eine Rückkehr in die Vergangenheit, mit dem Risiko, dass sich der Abzug der Amerikaner aus Afghanistan im Jahr 2021 wiederholt? Sicherlich ist Trump mit seiner antiimperialistischen Politik genau das, was er vermeiden will.

Was General a.D. Klaus Naumann im Jahr 2017 befürchtete, wird in Trumps zweiter Amtszeit Realität. Den Übergang der USA in eine postimperiale Phase mit dem Amtsantritt Trumps beschreibt zum Beispiel der Politikwissenschaftler Torben Lütjen in seinem Artikel für das Rotary-Magazin unter dem Titel „Ami, go home!“ (2021). Das Hauptthema des Artikels ist die Entwicklung des Antiamerikanismus in Deutschland, der nach Lütjens Ansicht mit dem Ende der imperialistischen Politik der USA, das mit dem Abzug der Amerikaner aus Afghanistan eingeleitet wurde, jede Bedeutung verlieren wird. Aber ein anderer Untertitel des Artikels fällt ins Auge: „Trump beerdigte den US-Imperialismus“. (2)

Wovon reden wir hier eigentlich? Für Lütjen ist der amerikanische Postimperialismus natürlich keineswegs das Ende des amerikanischen Imperialismus. Er schreibt: „Postimperial, das ist nicht das Gleiche wie präimperial. Die USA sind mit den globalen Angelegenheiten zu sehr verstrickt, als dass sie der Welt vollständig und sofort den Rücken zukehren könnten.“ Das bedeutet jedoch nicht, dass die USA die Möglichkeit haben, zu ihrem früheren Imperialismus zurückzukehren. Lütjen schreibt: „Den USA sind nicht nur die materiellen Ressourcen zu schade, die es brauchen würde, um die globale Führungsrolle weiter auszuüben. Es sind vor allem die für solcherlei notwendigen ideologischen Ressourcen, die final versiegt sind. Die USA glauben nicht mehr an ihre Mission und ihre moralische Überlegenheit. Das liegt nicht nur am isolationistischen Nationalismus der amerikanischen Rechten. Im Zuge der Totalabrechnung mit der amerikanischen Geschichte, die jetzt primär nur noch von ihren dunklen Seiten her erzählt wird, hat auch der US-Liberalismus den Glauben daran verloren, die Welt moralisch nach seinem Bild formen zu können. Wer die eigene Geschichte eher als Schandfleck denn als Ruhmesblatt empfindet, der hat sein Sendungsbewusstsein verloren.“

Der deutsche Antiamerikanismus hat tiefe Wurzeln, aber er erreichte seinen Höhepunkt Anfang der 2000er Jahre unter der Regierung von George W. Bush Jr. Beim Vergleich zweier republikanischer Präsidenten, Bush und Trump, deren Politik eng mit der Ideologie der christlichen Rechten verbunden ist, gibt Lütjen letzterem den Vorzug. Er schreibt: „George W. Bush war dabei ein dankbares Ziel, vereinte er doch gleich zwei Stereotype in seiner Person: das des texanischen Cowboys, der erst schießt und dann denkt, und dann das des christlichen Missionars. Beim nächsten republikanischen Präsidenten aber wurde die Lage diffuser. Als Donald Trump 2017 ins Weiße Haus einzog, war das merkwürdigerweise nicht von einer ähnlichen Flut des Antiamerikanismus wie bei Bush begleitet. Zwar wurde er von den allermeisten Deutschen zutiefst verabscheut. Aber Trump war als Figur in seiner monströsen Absurdität einerseits zu singulär, um ihn als „typischen“ Amerikaner zu interpretieren, und andererseits wurde er eher als amerikanische Spielart einer global aufstrebenden nationalistischen Rechten interpretiert.“

Aber in vielerlei Hinsicht wurde die Haltung der Deutschen gegenüber Trump durch seine antiimperialistische Politik beeinflusst. Lütjen schreibt: „Vor allem aber brach Trump schließlich brachial mit allen strategischen und ideologischen Grundprämissen der amerikanischen Außenpolitik. Der Nato stand er kritisch gegenüber, die USA wollte er aus allen Händeln der Welt am liebsten komplett raus halten, und hätten ihn der Kongress und sein Kabinett nicht daran gehindert, dann hätte er die Rückabwicklung schon weiter vorangetrieben. Der Kollaps in Afghanistan war bekanntermaßen auch seinem Rückzugsplan und den „Friedensverhandlungen“ mit den Taliban geschuldet, die nur ein Ziel verfolgten: einfach nur raus, und das so schnell wie möglich, ohne Rücksicht auf Verluste. Für die Linke (die Hauptbefürworter der liberalen Globalisierung, Anm. d. Autors) hätte Trump eigentlich eine Irritation sein müssen, denn im Grunde war er der finale Vollstrecker der Beerdigung des amerikanischen Imperialismus.“

Folgt man Lütjen Logik, so ist zu erwarten, dass die Deutschen zunehmend mit Trumps Politik sympathisieren, vor allem wegen seines Wunsches, den Konflikt in der Ukraine so schnell wie möglich zu beenden. Und dies trotz des Boykotts, den die politische Elite Europas gegen ihn verhängt hat.

1. https://rotary.de/gesellschaft/eine-historische-herausforderung-a-10372.html

2. https://rotary.de/gesellschaft/ami-go-home-a-18856.html