Die Religion spielt in Trumps Politik eine wichtige Rolle. Aber es geht nicht so sehr um die religiöse Zugehörigkeit von Trump und seinen Anhängern (ihr religiöser Konservatismus steht außer Frage), sondern um die religiöse Bewegung in der US-Politik, die in letzter Zeit an Schwung gewonnen hat. Diese Bewegung hat einen eigenen Namen: die Christliche Rechte.
Sie wurden zum ersten Mal in den frühen 2000er Jahren, während der Regierung des Republikaners Bush Jr. So hat der deutsche Politikwissenschaftler Josef Braml im Jahr 2005 den Buch „Amerika, Gott und die Welt. George W. Bushs Außenpolitik auf christlich-rechter Basis“ veröffentlicht, in dem er die Grundzüge einer neuen politischen Bewegung skizziert. Die deutsche Presse hat das Buch nicht unbemerkt gelassen. So veröffentlichte der Deutschlandfunk einen Artikel über das Buch von Josef Braml. (1)
Im Jahr 2007 analysierte ein anderer deutscher Politikwissenschaftler, Manfred Broecker, die Bewegung in einem Artikel mit dem Titel „Die Christliche Rechte in den USA“ genauer. Er wies insbesondere darauf hin, dass die Christliche Rechte in letzter Zeit großen Einfluss auf die Republikanische Partei gewonnen hat, indem sie deren Reihen tief unterwandert hat. Sie trugen auch dazu bei, dass Bush Jr. zum Präsidenten gewählt wurde, obwohl sie nicht das erreichten, was sie wollten: Bush zeigte nicht genug Ausdauer bei der Umsetzung ihres Programms. (2)
Es ist leicht vorstellbar, dass all dieses politische Gewicht auf den Schultern eines anderen Republikaners, Donald Trump, lastet. Ein Beweis dafür ist eine weitere Bemerkung von Manfred Broecker gegenüber der christlichen Rechten: „Überblickt man die 30 Jahre ihrer Existenz, so hat die Christliche Rechte einen Lern- und Anpassungsprozess durchlaufen, der ihre organisatorische Struktur gestärkt und ihr Strategienrepertoire erweitert hat. Sehr viel besser als in den Anfangsjahren gelingt es ihr heute, Mitglieder langfristig an sich zu binden, stabile Finanzierungsquellen aufzutun und sich als seriöser „Mitspieler“ im politischen Prozess in Szene zu setzen.“
In einer Rezension zu Josef Bramls Buch im Deutschlandfunk wird auf die besondere Frömmigkeit des protestantischen Amerikas hingewiesen, die auch Alexis de Tocqueville auf seiner Amerikareise auffiel. Nach Ansicht des französischen Aristokraten sind die Vereinigten Staaten der Ort in der Welt, „wo die christliche Religion am meisten wirkliche Macht über die Seelen bewahrt“.
Die Bewegung der Christlichen Rechten, die sich vor allem auf die Evangelikalen stützt, ist in Amerika jedoch noch nicht so lange entstanden. In den 1980er Jahren, nach der „konservativen Revolution“ von Ronald Reagan, wurde Distanz zwischen Religion und Politik sogar geringer geworden. Seit Mitte der 1960er Jahre hat sich der Anteil der säkular orientierten Bevölkerung verdoppelt, obwohl auch das Potenzial an evangelikalen Christen gestiegen ist. Insgesamt sind die Protestanten die größte Religionsgemeinschaft in den Vereinigten Staaten und machen mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung aus. Innerhalb dieser Gemeinschaft sind die konservativen Evangelikalen die stärkste Gruppe. Man kann sich leicht vorstellen, welche Rolle die , die in den 1990er Jahren für die traditionellen „amerikanischen Werte“ eintraten, in der Politik spielen können.
Man kann sich leicht vorstellen, welche Rolle „Rechtgläubigen“ in der Politik bei der Verteidigung der traditionellen „amerikanischen Werte“ spielen können.
Laut Broecker ist die „Christliche Rechte“ in den 1970er Jahren als Protestbewegung entstanden. Er schreibt: „Bis in die 1970er Jahre hinein war der amerikanische Evangelikalismus weitgehend unpolitisch. Erst danach kam es – in Reaktion auf die Protestaktivitäten linksliberaler sozialer Bewegungen wie der Studenten-, Friedens-, Frauen- und Homosexuellenbewegung, auf die Entstehung einer studentisch geprägten „Gegenkultur“ mit ihrer Ablehnung von protestantischer Leistungsethik und bürgerlicher Sexualmoral und vor allem aufgrund verschiedener Urteile des Obersten Bundesgerichts, die das Morgengebet und die Bibellektüre an öffentlichen Schulen verboten und die Abtreibung legalisierten -zu einer (partiellen) politischen Mobilisierung.“
Nur am Anfang neigte diese Bewegung zu Fundamentalismus und Radikalismus, was ihr schnelles Ende vorhersagte. Doch die Prognosen erwiesen sich als falsch. Broecker schreibt: „Tatsächlich konnte sich die Christliche Rechte dauerhaft als politische Kraft in den USA etablieren. Nach aggressiven Anfängen durchlief sie einen Transformationsprozess, der durch organisatorische Reformen sowie eine programmatische und strategische Moderierung gekennzeichnet war.“
Während die Christliche Rechte in den 1980er Jahren für die moralische Erneuerung der Gesellschaft kämpfte und einen Feldzug gegen Liberalismus, Humanismus, Feminismus und Säkularismus ankündigte, werden ihre Programme seit den 1990er Jahren von konkreteren politischen Forderungen dominiert. Broecker schreibt: „Innenpolitisches Ziel der Christlichen Rechten ist es, durch ein Verbot der“Homo-Ehe“, der Internet-Pornographie und des (Internet-) Glücksspiels, ein Verbot der Abtreibung, der Euthanasie, der Stammzellforschung und des Klonens, die Wiedereinführung des Schulgebets, die Berücksichtigung der biblischen Schöpfungsgeschichte (statt der Darwin’schen Evolutionstheorie) im Biologieunterricht, die staatliche Förderung religiöser (evangelikaler) Privatschulen u.a. die christlich-protestantisch geprägte „Leitkultur“ der USA in ihrem Sinne wieder herzustellen und den seit den 1960er Jahren beschleunigten Prozess der soziokulturellen Modernisierung und Liberalisierung aufzuhalten bzw. umzukehren. Sie betrachten Amerika als erwählte Nation, deren christliche Grundlagen erhalten werden müssten, um Gottes Schutz und Gnade nicht zu verlieren.“
Außerdem, betont Broecker, sollen Homosexuelle nach Auffassung der Partei nicht mehr im Militär dienen und keine gleichgeschlechtlichen Ehen eingehen dürfen, der Sexualkundeunterricht dagegen abgeschafft oder durch spezielles Programm ersetzt werden, „das die sexuelle Enthaltsamkeit vor der Ehe als moralisches Leitbild vermittelt“. Ganz typisch für die christliche Rechte ist die Ablehnung internationaler Organisationen wie der UN oder der UNESCO, die ihrer Meinung nach die Souveränität der USA bedrohen und die in ihren Augen die Souveränität der USA bedrohen und eine“säkular-liberale“, „antichristliche“ Politik betreiben.
Starke Unterstützung findet bei ihnen der Staat Israel. Broecker schreibt: „Die Forderung nach einer israelfreundlichen Politik der US-Regierung wird dabei eschatologisch begründet: Danach gilt die Gründung des Staates Israel als Zeichen für die bevorstehende Wiederkehr Christi, die ohne die Existenz eines jüdischen Staates in seinen biblischen Grenzen nicht erfolgen könne. Insofern spricht man sich u.a. gegen die Rückgabe besetzten Landes und gegen die Gründung eines eigenen Palästinenserstaates aus.“ Usw. Es ist bemerkenswert, dass sich viele der Programmpunkte der christlichen Rechten in Trumps Politik widerspiegeln.
Die neue politische Bewegung ist ein Beispiel dafür, wie man in einer repräsentativen Demokratie seine Ziele erreichen kann, ohne zu revolutionären Kampfmethoden zu greifen. Aktionen wie die Blockade von Abtreibungskliniken, Massendemonstrationen vor dem Gebäude des Kongresses oder des Obersten Bundesgerichts gehören der Vergangenheit an. Die Christliche Rechte hat sich erfolgreich moderne Methoden des politischen Kampfes adaptiert und agiert eher wie amerikanische Gewerkschaften als religiös-fundamentalistische Protestbewegungen in anderen Teilen der Welt. Broecker listet diese Methoden auf: „So gehört zu ihrem neuen Strategien-Repertoire das (Insider-) Lobbying in Kongress, Weißem Haus und vor den Gerichten (letzteres durch das Führen von Musterprozessen oder das Einreichen eigener Rechtsgutachten in wichtigen Verfahren), die Initiierung oder Unterstützung von Referenden auf lokaler und einzelstaatlicher Ebene (etwa gegen die „Homo-Ehe“), die Beeinflussung des ‚Meinungsklimas‘ durch Anzeigenkampagnen in den Medien sowie die Publikation von Büchern und Broschüren. Darüber hinaus aber hat die Christliche Rechte in den letzten 20 Jahren vor allem zwei Wege der politischen Einflussnahme beschritten: die ‚Infiltration‘ der Führungsgremien der Republikanischen Partei (G.O.P.) und die Wählermobilisierung für konservative Kandidaten auf lokaler, einzelstaatlicher und nationaler Ebene.“
Aber der vielleicht wichtigste Punkt an der Position der christlichen Rechten ist ihre inhärente Tendenz zu einer Politik der Isolation. Broecker schreibt: „Amerika wurde als „exemplar nation“ gesehen, als Vorbild für die Welt, nicht als „crusader state“. Der 11. September2001 und der Beginn des Irakkrieges bewirkten jedoch – parallel zum allgemeinen Trend in der Bevölkerung – eine Änderung ihrer Haltung und führten zu einer Allianz mit den Neo-Konservativen, die eine unilaterale Politik der Interventionen befürworten. Diese Verbindung ist erstaunlich, da beide Gruppen in ideologischer Hinsicht und bei der Beurteilung anderer politischer Fragen durchaus unterschiedliche Meinungen vertreten.“
Amerika stand also wieder einmal vor dem Dilemma zwischen einer Politik der Isolation und einer Politik der Intervention, das Carl Schmitt in seinem Buch „Der Nomos der Erde“ (1950) ausführlich beschrieben hat. In der Konfrontation dieser beiden Vektoren der internationalen Politik sah er die Dialektik der historischen Entwicklung der amerikanischen Gesellschaft und glaubte, dass sich das Dilemma zwischen Isolation und Intervention mit der Zeit nur noch steigern würde. Aber dies ist ein Thema für eine separate Diskussion.
1. https://www.deutschlandfunk.de/josef-braml-amerika-gott-und-die-welt-george-w-bushs-100.html
2. https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/30677/die-christliche-rechte-in-den-usa/