Das vielleicht ungewöhnlichste Bild von Trump als Politiker entwarf der Historiker, Politikwissenschaftler und Amerikanist Bernd Greiner in seinem Artikel im Rotary-Magazin unter dem Titel „Ein Millionär gegen die Elite“. Der Artikel wurde im März 2024 veröffentlicht, also vor Trumps Amtsantritt. Natürlich kann der echte Trump nicht vollständig mit dem ausgedachten Bild identifiziert werden. Dennoch tragen die Überlegungen von Greiner dazu bei, Trump als Politiker besser zu verstehen. (1)
Greiner verwendete für seine Analyse den Roman „Das ist bei uns nicht möglich“ (1935) des amerikanischen Schriftstellers Sinclair Lewis. Der Hauptgedanke des Romans ist, dass es unmöglich ist, dass ein Politiker wie Hitler in Amerika an die Macht kommt. Schon die kurze Charakterisierung des Protagonisten des Romans, Senator Windrip, dürfte Trump in vielerlei Hinsicht ähneln: Während seines Wahlkampfs behauptet der Senator, nur er sei im Besitz der Wahrheit und wisse im Unterschied zu allen anderen wirklich, wer das Volk ist, was es will und braucht. „Er verspricht, diesem Volk zurückzugeben, was ihm genommen wurde, er droht, dass aus dem Volk ausgeschlossen wird, wer sich nicht fügt.“ Der Protagonist des Romans, Senator Windrip, siegt über den amtierenden Präsidenten Franklin D.Roosevelt – nicht trotz, sondern weil seine Anhänger wussten, dass er „platt, fast ungebildet, ein oftmals überführter Lügner und seine Weltanschauung nahezu idiotisch war“. Aber das spielt keine Rolle, solange er den Gebildeten, Arrivierten und Einflussreichen in die Suppespuckt, allen, denen sich das verwaschene Etikett „Elite“ ans Revers heften lässt.
Das Hauptmerkmal des Romans ist, dass sein Protagonist ein Vorbild hatte – den Gouverneur von Louisiana, Huey Long, der damals ebenso berühmt wie berüchtigt war. Greiner versucht, Parallelen zwischen Gouverneur Long und Trump zu ziehen. Er schreibt über Long: „Dessen Botschaft: Im Kampf gegen politische Gegner nehme ich mir alles heraus, es gibt keine Regeln, außer denen, die ich selbst gemacht habe. Ich zeige allen, wer der wahre Boss ist. Als „Diebe“, „Ungeziefer“ und „Läuse“ bezeichnete Long alle, die ihm lästig waren, er versprühte Hass, Zorn und Wut, log in einem fort, lästerte, pöbelte und polterte, was das Zeug hielt, er schmähte und verspottete andere und machte sie auf jede erdenkliche Art nieder, suhlte sich in seiner Arroganz, Niedertracht und Bösartigkeit, er genoss es, als Mann ohne jeden Anstand zu gelten, als Unangreifbarer mit dem Image des Alleskönners, erfolgreich, weil skrupellos, als jemand, der nach Belieben mit den dunklen Seiten der menschlichen Seele spielen kann und dabei als Lichtgestalt erscheint – oft mit rosa Krawatte in weißen Seidenanzügen, immer als Liebhaber teuersten Whiskeys und aufreizender Frauen.“
Mit dem Gouverneur von Louisiana verbindet Greiner eine neue Taktik in der amerikanischen Politik, die er wie folgt charakterisiert: „Empörung ist kein Mittel der Politik mehr, sondern alle Politik wird auf Empörung reduziert, man muss Gegner und Konkurrenten derart ausdauernd ins Lächerliche ziehen, bis auch ihre Ämter in Verruf geraten und reif für eine Übernahme oder Liquidation sind. Dialog? Streit um bessere Argumente? Ringen um gemeinsame Lösungen? Nichts von alledem zählte, keine Selbstbindung, kein ziviler Mindeststandard. Die Raserei so lange zu schüren, bis möglichst viele möglichst rasend waren, darauf kam es an. Anders gesagt: Politische Programme bemessen sich nicht an Seriosität und Machbarkeit, sondern an ihrer Dosierung als Aufputschmittel: je toxischer, desto besser.“
Mit beneidenswerter Hartnäckigkeit arbeitete Long auf eine Diktatur hin, vielleicht nach dem Vorbild Hitlers. Aber er ist gescheitert, wenn auch wahrscheinlich nicht so, wie es sich der Autor des Romans „Das ist bei uns nicht möglich“ gewünscht hätte. Wenn man die amerikanische Geschichte kennt, könnte man heute sagen, dass er die politische Arena auf eine rein amerikanische Weise verlassen hat: Er wurde erschossen. Greiner schreibt: „Als Systemsprenger bezeichnet zu werden, klang in Huey Longs Ohren wie eine Auszeichnung. 1928 zum Gouverneur gewählt, hebelte er die politischen Institutionen Louisianas derart aus, dass von Gewaltenteilung faktisch keine Rede mehr sein konnte – so gefügig war das Parlament, derart eingeschüchtert die Justiz und dermaßen willfährig die Bürokratie.
Long legte besonderen Wert auf die Personalpolitik. Nicht genug damit, dass er Unpassende der Reihe nach entließ und so gut wie alle Stellen, entlegene Gemeinden inklusive, mit Gefolgsleuten besetzte. Nach seiner Wahl zum US-Senator im Jahr 1932 machte Long obendrein einen Strohmann, den Vorgaben seines Herrn sklavisch ergeben, zum neuen Gouverneur. Kein Bundesstaat, darin waren sich bereits die Zeitgenossen so gut wie einig, hatte sich je auf eine derart abschüssige Bahn in eine Diktatur begeben. Auf sein bei Putschisten entlehntes Verständnis von Staat und Verfassung angesprochen, bemühte sich Long noch nicht einmal um ein Dementi. „Jetzt bin ich die Verfassung hier.“ Wie weit er noch gegangen wäre, ist Spekulation; 1935 starb Huey Long im Kugelhagel eines von politischen Rivalen gedungenen Mörders.“
Natürlich behauptet Greiner nicht, dass Trump in 90 Jahren das Schicksal von Long wiederholen könnte. „Geschichte ist bekanntlich das Ensemble des Unvorhergesehenen.“ Seine Sorge ist eine andere: das Potenzial für eine Diktatur in Amerika, „weil Figuren wie Long oder Trump nicht die Ursache von Amerikas Problemen sind, sondern deren Ausdruck.“ Die Wurzeln der Probleme, so Greiner, reichen bis in die 1930er Jahre zurück, als der politische Kreislauf der USA durch das Gift des modernen Populismus vergiftet wurde.
Greiner beschreibt den modernen Populismus wie folgt: „Wer damit hantiert, plädiert für das Führerprinzip. Der Bürger als politischer Gestalter hat in diesem Weltbild keinen Platz, die Stelle des mündigen Teilhabers bleibt leer. Ins Rampenlicht rückt stattdessen der Volkstribun, Seher und Vollstrecker in einem. Dieser lebt von der Anmaßung, das Wahre zu repräsentieren, er setzt nicht auf Partizipation, sondern auf blinde Gefolgschaft. Und erspielt zugleich mit dem Mythos des zähen Individualisten, des amerikanischen Übermanns, der ganz auf sich allein gestellt Unmögliches leistet.“
Trumps Hauptwähler ist nicht der arme Amerikaner, sondern jemand, der viel zu verlieren hat. Greiner schreibt: „Agitatoren von Huey Long bis Donald Trump fischen nicht im Reservoir der Vergessenen, Abgehängten und Resignierten. Mittelständler, Arbeiter und selbstständige Farmer sind ihre Klientel, Wähler, die etwas zu verlieren haben, die nicht abgehängt werden wollen und zugleich von den Segnungen des Kapitalismus überzeugt sind. Letzteres erklärt, warum immer nur über unfähige Personen geschimpft, aber nie über ökonomische Strukturen geredet wird, warum der Scheinwerfer auf individuelle Fehlleistungen und nicht auf systemische Mängel gerichtet ist.“
Inwieweit Trump dem von Greiner gezeichneten Bild entspricht, lässt sich heute leicht überprüfen. Viele Dinge stimmen eindeutig nicht überein. So ist Trumps Erfolg vor allem darauf zurückzuführen, dass es ihm gelungen ist, viele Amerikaner zu mobilisieren und sie zu direkten Teilnehmern am politischen Prozess zu machen. Die Besetzung des US-Kapitols durch Trump-Anhänger im Jahr 2021 ist ein klarer Beweis dafür. Diese Geschichte hat jedoch auch eine Kehrseite: Trump ist jetzt noch mehr auf das Vertrauen der Amerikaner angewiesen, die er in die Politik hineingezogen hat.
Aber wie dem auch sei: Trumps Handlungen und Taten haben, ebenso wie die von Long, ihre eigene Logik. Sie besteht im Wesentlichen darin, dass sie beide Produkte der amerikanischen politischen Küche sind.
1. https://rotary.de/gesellschaft/ein-millionaer-gegen-die-elite-a-23288.html