Trump ist ein autoritärer Herrscher, was auch ganz natürlich ist, sonst wäre er nicht in der Lage, einen Aufstand gegen die Globalisierung, die internationale Elite und das bestehende System anzuführen. Er hat einfach keine andere Wahl: Jeder Fehltritt oder jede unsichere Bewegung von ihm ist ein Anlass für den Vergeltungsschlag derer, gegen die er rebelliert hat.
Doch Trump ist nicht nur ein Herrscher in einer langen Liste autoritärer Staatschefs wie Putin, Xi Jinping, Orban oder Erdogan. Wir dürfen nicht vergessen, dass er der Herrscher von Amerika ist. Der Schatten einer besonderen amerikanischen Mission hat das Land seit seinen frühesten Tagen begleitet, was sich in der Monroe-Doktrin widerspiegelt, die Amerika zu einer kriegs- und konfliktfreien Zone erklärte, in der Truman-Doktrin, die den Vereinigten Staaten die Verantwortung für die Verteidigung der westlichen Werte angesichts der kommunistischen Bedrohung zuwies. Amerikas Mission ist es heute, auf den Trümmern des sozialistischen Lagers eine unipolare Welt aufzubauen. Im Mittelpunkt dieser Mission steht die heilige Überzeugung, dass nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nur die Vereinigten Staaten die Welt vor dem Chaos bewahren können.
Die Angst, aus der Geschichte herauszufallen, wenn er die ihm zugedachte Mission nicht erfüllt, begleitet jeden amerikanischen Präsidenten und zwingt ihn dazu, nur aus einer Position der Stärke heraus zum Rest der Welt zu sprechen. Wie man heute sagen würde: typisch Trump. Darüber schreibt u. a. in seinem Rotary-Beitrag „Amerikas Abstieg als Chance für Europa“ (2021) schon erwähnter Historiker, Politikwissenschaftler und Amerikanist Bernd Greiner. (1)
Weil Amerika in Verfolgung seiner Mission seinen Anspruch auf die Weltordnung geltend machen will, stößt es unweigerlich auf Widerstand, den es überwinden muss. Greiner spricht über die amerikanische Intervention, die seiner Meinung nach der Welt mehr schaden als nützen. Er schreibt: „Die Vereinigten Staaten haben mit Abstand die meisten Militärinterventionen zu verantworten, sie haben wiederholt Angriffskriege vom Zaun gebrochen und das Völkerrecht mit Füßen getreten, sie geben heute noch das meiste Geld für Rüstung aus und unterhalten weltweit mehr Militärstützpunkte als alle anderen Staaten zusammen – sie sind einsamer Spitzenreiter beim Sturz missliebiger, auch demokratisch gewählter Regierungen.“
Auf diesem Weg zur Weltherrschaft machen sich die USA mehr Feinde als Freunde. Greiner zählt nur einen Bruchteil der Schäden auf, die die USA anderen Ländern zugefügt haben: „durch militärische Interventionen wie auf Kuba, in Vietnam, Laos, Kambodscha, Grenada, Afghanistan und im Irak, durch mehr oder weniger erfolgreiche „Regimewechsel“ wie im Iran und im Kongo, in Guatemala, Britisch-Guinea und der Dominikanischen Republik, oder durch eine jahrelange Komplizenschaft mit Staatsterroristen wie in Indonesien, Chile und Argentinien.“ Und fügt hinzu: „Die Liste der Beispiele ist unvollständig, der Befund indes eindeutig. Viele Regionen in Südostasien oder große Teile Lateinamerikas kamen erst nach einem Rückzug der Vereinigten Staaten wieder zur Ruhe. In jedem einzelnen Fall hinterließ man die betreffenden Gesellschaften in einem schlechteren Zustand, als man sie vorgefunden hatte. So gesehen sind die desaströsen Folgen des 20-jährigen „Krieges gegen den Terror“ im Nahen Osten und am Hindukusch Teil eines größeren Ganzen und ein weiterer Beleg dafür, dass Washingtons endloser Kampf gegen reale oder imaginierte Feinde dem Land just das beschert hat, was es eigentlich zu verhindern galt: immer mehr Gegner und ständig neue Feinde.“
Die Rechtfertigung für die US-Expansion ist die hartnäckige Behauptung, dass die Welt ohne eine feste Hand der USA im Chaos versinken würde. Greiner schreibt: „Die entsprechenden Begründungen finden sich hierzulande in Leitartikeln, Parteiprogrammen und politischen Reden: weil der nukleare Schutzschirm unverzichtbar sei, weil die Feinde der Demokratie angeblich nur auf einen Schwächeanfall der USA warten, weil die gemeinsamen Werte mehr zählen als gelegentliche Fehltritte. Und so weiter und so fort in ständiger Variation eines von Winston Churchill auf die Demokratie gemünzten Spruchs. Demnach mag Amerika als Ordnungsmacht noch so miserabel sein, man sollte es hinnehmen, weil alle anderen noch miserabler sind.“
Auf diese Weise hat sich die besondere Selbstwahrnehmung der Amerikaner herausgebildet, die ihren Glauben an die Mission Amerikas nährt. Greiner schreibt: „Ihr ewiges Selbstgespräch von der „auserwählten Nation“ und von Amerika als der „besten und letzten Hoffnung“ auf Erden klingt nicht nur wie eine selbst verordnete Wahrheit, es ist auch so gemeint. Nämlich als politisches Naturrecht. Amerika führt, weil es dem Rest der Welt fundamental überlegen und mithin zur Führung geboren ist – wenn es einen seit der Gründung der Republik politisch mehrheitsfähigen Nenner gibt, dann diesen. Deshalb ist „America First“ weit mehr als eine süffige Parole. Der Slogan steht für eine nationale Meistererzählung, die ihre Nähe zu atavistischen Regeln weder leugnen kann noch bestreiten will: Der Starke herrscht, der Schwächere folgt, die Schwächsten dulden.“
Es scheint, dass dies nichts Ungewöhnliches ist: alle Großmächte verhalten sich so. Doch Greiner sieht in der amerikanischen Mission etwas Besonderes – ihre religiösen und mystischen Wurzeln. Er schreibt: „Das Eigentümliche im Fall der USA ist indes die angstbesetzte Kehrseite ihres Selbstbildes, eine Angst vor der eigenen Verwundbarkeit. Dass das Experiment der „Neuen Welt“entweder an der Bösartigkeit äußerer Feinde oder an hausgemachten Widersprüchen scheitern könnte und dass die „redeemer nation“, im göttlichen Auftrag der Welt zum Erlöser bestimmt, sich im Falle ihres Scheiterns an Gott versündigen würde – derlei Dramatisierung des Bösen ist von der Überidentifikation mit dem Guten nicht zu trennen. Nicht umsonst sprechen Historiker von einer Obsession in prekärer Nähe zu Hysterie und Paranoia. Immer scheint es ums Ganze zu gehen, überall lauern vermeintlich existenzbedrohende Gefahren.“
Die Angst der Amerikaner vor der eigenen Verwundbarkeit bestimmt weitgehend die Außenpolitik der USA, vor allem im Bereich der Sicherheit. Greiner schreibt: „In die Verwundbarkeitsfantasien ist das Verlangen nach totaler Sicherheit eingeschrieben. Über angemessene Mittel und Wege wurde jahrzehntelang erbittert gestritten, ehe am Ende des Zweiten Weltkrieges ein verführerisches Allheilmittel auf den Markt drängte: militärische Übermacht. Seither sind nationale Sicherheit und Militär synonym. Mehr noch, es wuchert die fixe Idee, dass Selbstbehauptung von waffenstarrender Dominanz abhängt. Darum dreht sich die Gedankenwelt jener Experten, die mit routinierter Gleichmäßigkeit im innersten Kreis der Macht Gehör finden, und diesem Glaubenssatz folgten bis heute so gut wie alle Präsidenten. Davon ausgehend definiert die Sicherheitselite des Landes die Grundbegriffe internationaler Politik auf ganz eigene Art: Stabilität ist gleichbedeutend mit amerikanischem Übergewicht, ein Gleichgewicht der Macht gibt es nur dann, wenn die Vereinigten Staaten mehr auf die Waage bringen als andere – jedem einzelnen und idealerweise auch jedem fremden Bündnis überlegen.“
Aber eine Anhäufung von militärischem Gerät oder randvolle Waffenlager, so Greiner, bedeuten noch nichts. Er schreibt: „Eine Ordnungsmacht muss den Willen zur Gewalt demonstrieren, ansonsten entgleitet ihr die Ordnung. Eine Ordnungsmacht muss den Willen zur Gewalt demonstrieren, ansonsten entgleitet ihr die Ordnung. Sobald ihre Gewaltbereitschaft infrage steht, verspielt sie Prestige und Glaubwürdigkeit – das ist die politisch stilbildende Überzeugung. Nicht nur, aber in erster Linie sind die Handwerke der Einschüchterung, Nötigung und Erpressung gefragt. In anderen Worten: Bei Strafe des Abstiegs in eine untere Gewichtsklasse dürfen die USA eine Maxime nie aus den Augen verlieren: Macht beruht auf Angst, und ohne die Verängstigung der anderen verdammt man sich selbst zur Ohnmacht.“
Der Unterschied zwischen der Verängstigung und dem Einsatz militärischer Gewalt ist nach Greiners Ansicht für die USA jedoch irrelevant. Er schreibt: „Entscheidend ist die politische Verortung von Gewalt. Zwecks Demonstration von Glaubwürdigkeit gelten Militär und Krieg nicht als Ultima Ratio. Sie sind nicht das letztmögliche, sondern ein bevorzugtes Instrument. Machtmittel gerade an Orten ohne erkennbare strategische, wirtschaftliche oder politische Bedeutung zur Geltung bringen, noch im hintersten Winkel Grenzen ziehen und Ansprüche verteidigen, darauf kommt es an. Insofern kann es sogar produktiver sein, grundlos statt mit guten Gründen Krieg zu führen.“
Greiner spricht von der „Symbolik der Tat“, die die USA in den Kriegen in Vietnam und Afghanistan demonstriert haben. Er schreibt und zieht eine allgemein traurige Schlussfolgerung: „In beiden Fällen war hauptsächlich die Symbolik der Tat gefragt. Und heraus kam ein zur strategischen Weisheit verklärter Zirkelschluss: Washington muss Entschlossenheit demonstrieren, um seine Interessen zu schützen. Und sein Interesse besteht darin, entschlossen aufzutreten. Mit solchen Dogmen haben sich die USA immer wieder in selbstgestellten Fallen verheddert.“
Sicherlich hat Trump, wie jeder Amerikaner, Angst vor seiner eigenen Verwundbarkeit, und als Präsident muss er Amerikas Stärke demonstrieren. Er hat kein Recht, Schwäche zu zeigen, geschweige denn jemandem zu erlauben, seine Politik zu beeinflussen. Dies gilt insbesondere für ernsthafte Rivalen wie Russland und China. Trumps Autoritarismus ist also auch ein Element des Missionszwangs. Genau das tut Trump: Er verteilt Lob oder Drohungen in der ganzen Welt und zeigt der Welt, wer der Boss ist.
Aber kann man ihn als dogmatisch bezeichnen, als fähig, Amerika wieder einmal in eine Falle zu treiben? Das ist fraglich. Zumindest sind seine Pläne zur friedlichen Lösung von Konflikten, insbesondere in der Ukraine, nicht mit der Bereitschaft verbunden, zu den extremsten Maßnahmen – dem Einsatz von Atomwaffen – zu greifen. Allein die Bereitschaft, mit Putin zu verhandeln, deutet darauf hin, dass Russland wieder den Status eines gerechten Feindes erlangt hat, den die Sowjetunion während des Kalten Krieges hatte. Darüber hinaus hat die Trump-Administration offen zugegeben, dass der Westen in der Ukraine einen Stellvertreterkrieg mit Russland führt, was bedeutet, dass es sich nicht nur um einen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine handelt, sondern vor allem um eine globale geopolitische Konfrontation zwischen dem Westen und dem Osten. Eine solche Anerkennung beendet die Kriminalisierung des Krieges (im Sinne Carl Schmitts), als deren Ausgangspunkt der Georgienkrieg 2008 gelten kann.
Zu diesem Zeitpunkt machte sich der Westen daran, Putins Russland zu diskreditieren, um ihm eine strategische Niederlage zuzufügen. Russland musste in den Augen der Weltgemeinschaft als krimineller Straftäter dargestellt werden, der von der ganzen Welt bekämpft werden muss – als ein globales Übel. Mit einem solchen Verbrecher kann man nicht verhandeln, und gegen ihn sind alle Mittel recht, denn er muss vernichtet werden. Im Falle einer Atommacht wie Russland klingt eine solche Kriminalisierung des Krieges wie ein Aufruf zu einem dritten Weltkrieg. Nach Trumps Äußerungen zu urteilen, versteht er das sehr gut.
Natürlich ist Trump, wie jeder große Politiker, von seiner eigenen Mission besessen, was ihn zu einem echten Politiker macht, im Gegensatz zu denen, für die Politik ein Beruf ist (nach Max Webers Terminologie in seinem Buch „Politik als Beruf“). Aber was ist diese Mission? Geht es nur darum, Amerika wieder groß zu machen und seinen Status als einzige Supermacht zu bewahren? Natürlich hat Greiner recht, wenn er eine solche Mission für Amerika kritisiert, die der Welt mehr schadet, als nützt. Dennoch gibt es eine Lücke in seiner Kritik. War es schon immer die Aufgabe Amerikas, die Weltherrschaft zu erlangen? So verfolgten die USA, die ihre neue freie Welt ohne Kriege und Konflikte auf dem amerikanischen Kontinent aufbauten (im Gegensatz zu Europa, das in Kriege verwickelt war), lange Zeit eine Politik der Selbstisolierung. Amerika kam erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf die Idee der Weltherrschaft und schwankte lange Zeit zwischen Selbstisolation und Intervention.
Ist das nicht die alte und, man könnte sagen, ursprüngliche Mission, die Trump Amerika zurückgeben will, indem er eine Politik der Selbstisolierung und des Friedens verkündet? In diesem Fall ist Trumps Autoritarismus und Machtdemonstration kein Aufruf zu einer Militäraktion oder einem Krieg, sondern eher das Gegenteil: eine Art Präventivmaßnahme zur Vermeidung einer noch größeren Konfrontation.
Es ist möglich, dass sich seine Mission in gewisser Weise mit den Absichten anderer autoritären Politiker wie Putin oder Xi Jinping überschneidet, die den Wunsch haben, eine ausgewogenere und gerechtere multipolare Welt auf der Erde zu schaffen. Es ist möglich, dass sich diese drei Politiker eines Tages mit ihren Absichten an den Verhandlungstisch setzen, um die Struktur der künftigen Weltordnung zu besprechen, wie es die anderen drei großen Politiker 1945 in Jalta taten, als sie sich auf die Nachkriegswelt einigten. Es gibt eine politische Grundlage für Jalta 2: Alle drei Politiker lehnen den Transatlantismus als Ideologie des Kalten Krieges ab, der nach 1989 zu einem Anachronismus wurde. Es könnte also sein, dass wir in eine neue Ära eintreten – die Ära des Post-Transatlantismus, wobei der zweifelhafte Begriff „Postdemokratie“ aufgegeben wird.
1. https://rotary.de/gesellschaft/amerikas-abstieg-als-chance-fuer-europa-a-18849.html