Trump ist ein amerikanischer Robin Hood auf globaler Ebene

Kein Zweifel: Trump ist ein Vertreter der einfachen amerikanischen Bürger, die von der Globalisierung nichts haben. Sie haben ihn zweimal zum Präsidenten Amerikas gewählt. Philipp Ther, Professor für die Geschichte Ostmitteleuropas an der Universität Wien und Autor des Buches „Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent“ (2016), ist der Ansicht, dass Trumps wichtigste Wählerreservoir weiße Amerikaner mit mittlerem oder niedrigem Bildungsniveau sind. Er schreibt: „Diese Bevölkerungsgruppe hat seit den 1980ern am meisten unter der Öffnung der Märkte, der Verlagerung der Industrie und Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt gelitten. In der mittleren Altersschicht ist sogar – bis lang einmalig für ein Industrieland – die Lebenserwartung zurückgegangen. Es ist eigentlich keine Überraschung, dass diese Bevölkerungsschicht gegen „das System“ rebelliert, ähnlich wie zuvor die mittel- und nordenglischen Industriearbeiter und deren Nachfahren im Brexit gegen die EU und vor allem gegen die Finanzmetropole London.“ (1)

Aber Trump wäre nicht Trump, wenn er sich nicht gegen die Globalisierung im Allgemeinen wenden würde, deren Hauptsitz sich gerade in Amerika befindet. Das Rotary-Magazin widmete diesem Thema eine eigene Ausgabe mit dem Titel „Aufstand gegen die Globalisierung“. Die Gründe für Trumps historische Wahl zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten werden in der Zeitschrift untersucht: „Der Sieg Donald Trumps bei der US-Präsidentenwahl war nicht zuletzt das Ergebnis einer wachsenden Wut gegen eine Form der Globalisierung, die an wenigen Orten enormen Wohlstand schuf – und andernorts ganze Regionen verkommen ließ.“ Ein Beweis dafür ist Trumps Widerstand gegen die sogenannte „kalifornische Ideologie“. (2)

Es geht um die Globalisierung im Zeitalter des Internets. Rotary-Magazin schreibt: „Die Mitte der neunziger Jahre war eine Zeit des Aufbruchs: Nur kurz zuvor war der Kommunismus mitsamt seinem dirigistischen Wirtschaftsmodell zusammengebrochen. Der Westen hatte sich materiell und kulturell als überlegen erwiesen. Mit dem Wegfall des „Eisernen Vorhangs“ konnten Waren, Dienstleistungen und vor allem die Menschen nunmehr frei um die Welt ziehen. Den entscheidenden Impuls für die Globalisierung gab die Digitale Revolution. Mit dem Start des frei nutzbaren Internets war erstmals in der Geschichte eine Plattform geschaffen, auf der die Menschen weltweit direkt miteinander kommunizieren konnten.“

Das Epizentrum dieser Entwicklung war Kalifornien, wo eine neue Weltanschauung geboren wurde, die nicht nur im Cyberspace, sondern auf der ganzen Welt vorherrschend werden sollte. Das heißt: „Die Informationstechnologien sollten die Macht des Individuums vergrößern und seine persönliche Freiheit stärken – und zugleich den Einfluss der traditionellen Staaten reduzieren. Bestehende gesellschaftliche Strukturen und Konventionen sollten zugunsten von unbeschränkten Interaktionen zwischen autonomen Individuen und ihrer Software verschwinden“.

Kurz gesagt, die Nationalstaaten sollten in Zukunft durch einen Weltstaat ersetzt werden, der sich auf das Internet und digitale Technologien stützt. Es ist die Aufgabe der Global Players, diese neue Welt zu gestalten, die Frieden, Ruhe und Wohlstand für die gesamte Menschheit verspricht. „Die Gurus der neuen Zeit verkündeten eine freiere, coolere und billigere Welt.“

Doch die Versprechungen haben sich als Täuschung erwiesen und zeigen einmal mehr das wahre Wesen der Globalisierung. Rotary-Magazin schreibt: „Je größer und mächtiger der Einfluss des Silicon Valley wurde, um so größer war der Hunger nach mehr – und um so geringer wurde die Bereitschaft, auf den Rest der Welt noch Rücksicht zu nehmen. Amazon verdrängte zunächst die Buchläden und schon bald alle möglichen Händler in der analogen und digitalen Welt. Google entwickelte sich von der geliebten Suchmaschine, die ihre Nutzer kostenlos durch die Weiten des World Wide Web führte, zu einem digitalen Leviathan, der – ohne Rücksicht auf die Urheber – immer neue Bereiche des Netzes erschloss und vermarktete. Und Facebook handelte ungeniert mit dem Wissen um seine Kunden.“

Außerdem hat das Internet die Konzentration der wirtschaftlichen Macht in den Händen einiger weniger Monopolisten beschleunigt. Rotary-Magazin schreibt: „Zudem zeigte sich, dass das Internet anders funktionierte als alle früheren Marktplätze. Egal, um welches Segment es sich handelte, die Nutzer verteilten sich nicht gleichmäßig um die Welt, sondern strömten immer zu den jeweiligen Marktführern. The winnerstook it all. Und diese saßen fast immer in Kalifornien.“

Das ist eigentlich nicht überraschend: Im Rahmen des von Thatcher und Reagan in den 1980er Jahren eingeleiteten Prozess der Deindustrialisierung wurde die Industrieproduktion nach Asien verlagert – in der Erwartung, dass die Entwicklung von Technologie und Dienstleistungen, einschließlich Finanzdienstleistungen, in den Händen der fortgeschrittenen Industrieländer bleiben würde. Dies hat sich zu einer neuen Form der Kolonialisierung entwickelt: Die entwickelten Länder verkaufen Dienstleistungen und Technologien an die armen Länder, und diese Länder produzieren die entsprechenden Produkte für die entwickelten Länder. Der Westen verliert dabei nichts, denn er ist es, der die Preise der Produkte bestimmt. Wie es auch Rotary-Magazin schreibt: „In nahezu allen Produktionsbranchen entwickelte sich eine Arbeitsteilung, bei der die Arbeitsplätze aus den reichen Ländern Europas und Nordamerikas in die asiatischen Tigerstaaten abwanderten, und lediglich die Entwicklungsabteilungen zuhause blieben.“

Dieses System funktionierte recht gut, bis andere Länder begannen, ihre eigenen Technologien und Dienstleistungen zu produzieren, auch im Rahmen der digitalen Revolution. Die Einkommen bzw. der Lebensstandard in den Industrieländern begannen zu sinken, besonders in den solchen Staaten, die zu ihrer Zeit am erfolgreichsten bei der Deindustrialisierung waren. An erster Stelle stehen hier die Vereinigten Staaten, die sich in eine totale Abhängigkeit von Waren aus aller Welt, insbesondere aus China, gestürzt haben.

Es macht also durchaus Sinn, dass Trump Amerika seine industrielle Macht zurückgeben will. Rotary-Magazin schreibt: „Erstaunlich ist höchstens, dass es erst die Wahl eines Donald Trump brauchte, um diese Gegensätze zur Kenntnis zu nehmen. Der künftige Präsident hatte sie sehr wohl erkannt und in seinem Wahlkampf auf die Wut der durch die Globalisierung Abgehängten gesetzt. Gezielt lenkte er die Stimmung in Richtung Kalifornien, indem er ankündigte, dafür zu sorgen, dass Apple wieder in Amerika produziert.“

Um das Vertrauen seiner Wähler nicht zu verlieren, muss Trump also den Appetit der Global Players in Kalifornien zügeln und sie auf die Bedürfnisse des amerikanischen Volkes lenken. Das ist vielleicht die zentrale Botschaft von Trump als Politiker und Geschäftsmann: Nicht private Unternehmen, nicht internationale Global Players aus Kalifornien, sondern die USA als Ganzes müssen jetzt als Global Player auftreten, um im scharfen Wettbewerb um neue Technologien, vor allem mit China, nicht zu verlieren. Nur so kann ganz Amerika, einschließlich der einfachen Amerikaner, von der Globalisierung profitieren. Die Ernsthaftigkeit von Trumps Absichten zeigt sich in seinem Wunsch, eine halbe Billion Dollar in künstliche Intelligenz zu investieren, was er an seinem ersten Tag als US-Präsident ankündigte.

Eigentlich sollte Trump das umsetzen, was andere „Nationalisten“, darunter Putin und Xi Jinping, schon lange tun, nämlich seine Milliardäre dazu motivieren, ihr Geld vor allem im eigenen Land zu investieren. Dies ist sozusagen die Verstaatlichung des Kapitals im Gegensatz zu seiner Internationalisierung im Rahmen des neoliberalen Wirtschaftsmodells. Dies ist ein schwerer Schlag für die internationale Finanzelite mit Sitz an der Wall Street, die den einst populären Slogan der Arbeiterklasse „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ aufgegriffen hat und ihn zu ihrem eigenen Slogan gemacht hat: „Oligarchen aller Länder, vereinigt euch!“. So wird Trump unweigerlich zu einem Kämpfer gegen die kalifornische Ideologie, die die Interessen der einfachen Amerikaner ignoriert, d.h. er wird zu einem Gegner der aktuellen Form der Globalisierung. Was ist das nicht für ein amerikanischer Robin Hood im globalen Maßstab!

Der Aufstand gegen die Globalisierung, mit der Trumps Erfolg bei den Präsidentschaftswahlen in direktem Zusammenhang steht, bestimmt weitgehend seine Haltung gegenüber dem Transatlantismus, Europa und Russland, den BRICS-Ländern und den Konzepten der westlichen Globalisten zum Aufbau einer unipolaren Welt, den internationalen Institutionen und vielen anderen Fragen der Weltpolitik. Aber das ist ein Thema für ein separates Gespräch.

1. https://rotary.de/gesellschaft/vom-neoliberalismus-zum-illiberalismus-a-9965.html

2. https://rotary.de/gesellschaft/ein-aufstand-gegen-die-kalifornische-ideologie-a-9943.html