Lange vor dem Ukraine-Konflikt betrachteten die westlichen Mainstream-Medien Russland als Aggressor und Putin als Diktator. Wie es konkret funktionierte, zeigt Krone-Schmalz auf dem Beispiel der deutschen Presse.
Am 18. August 2008 erschien Spiegel mit dem Titel „Der gefährliche Nachbar. Wladimir Putin und die Ohnmacht des Westens“. Hintergrund war der Georgienkrieg. In der oberen Bildhälfte war Wladimir Putin zu sehen; unten rollte eine russische Panzerkolonne auf den Betrachter zu. Woher die Signale für die Dämonisierung Putins gekommen sind, ist kein Geheimnis. Noch am Tag des Endes des Georgienkrieges, also am 12. August, so Krone-Schmalz, berichtete John McCain, damals Kandidat der Republikaner im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2008, bei einem Wahlkampfauftritt pathetisch von einem Telefonat mit seinem Freund Präsident Saakaschwili: „Ich weiß, sagte ich ihm, dass ich für jeden Amerikaner spreche, wenn ich ihm erkläre: Heute sind wir alle Georgier.“
Das war im Übrigen nicht das einzige Gespräch zwischen den beiden in diesen Tagen. Während des Krieges telefonierten sie täglich miteinander, teilweise mehrfach. Auf „Fox News“ verglich McCain das russische Vorgehen mit der Niederschlagung des Aufstands in Budapest 1956 und des Prager Frühlings 1968 durch die Sowjetunion. „Dies ist ein Akt der Aggression, mit dem wir im 21. Jahrhundert nicht gerechnet hatten“, so ist seiner Botschaft. Krone-Schmalz bemerkt dabei, dass diese Worte aus dem Munde eines Mannes gelaufen sind, der Vorstandsmitglied des „Komitees für die Befreiung des Irak“ gewesen war und im US-Senat den völkerrechtswidrigen amerikanischen Angriffskrieg gegen den Irak 2003 unterstützt hatte. (1)
Das Signal zum medialen Angriff auf Putins Russland wurde abgegeben, und die deutsche Presse schaltet sich aktiv ein. Krone-Schmalz erwähnt dazu einige Beispiele. „Der Brandstifter. Wer stoppt Putin?“, heiß es am 10. März 2014 auf Titelseite des Spiegels. Putin dominierte das Titelbild, neben ihm die Zwerge Cameron, Merkel und Obama: Obama mit erhobenem Zeigefinger, Merkel mit weißer Fahne. Am 10. Oktober 2015 zeigte die Titelseite des Spiegels Putin, der in einem Kampfjet auf den Betrachter zufliegt. In der Oberschrift heißt es: „Putin greift an. Russlands Weltmachtspiele“. „Putin drohte mit Einmarsch in Riga und Warschau“, verkündete Spiegel Online bereits am 18. September 2014. Usw. Wenn es aber darum geht, Ängste vor russischer Aggression zu schüren, ist die Bild-Zeitung unübertroffen. Im November 2014 hieß es zum Beispiel: „Geheimdienstbericht. Putin-Bomber probten Raketenangriff über Dänemark“. Und 2016 wurde gewarnt: „Putin verlagert Atom-Raketen an EU-Grenze. So heiß wird der neue kalte Krieg.“ (2)
Russland solle sicherlich die Propagandaschlacht gegen Amerika verlieren. Krone-Schmalz fragt: Haben Sie schon einmal vom „Joint Hometown News Servise“ gehört? Nach Informationen der Nachrichtenagentur „Associated Press“ (AP) handelt es sich um eine Dienststelle des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums, die 2009 ihren Sitz auf einem früheren Luftwaffenstützpunkt in Texas hatte. Dort werden Wort- und Bildberichte produziert, die man ohne Quellenangabe den Medien zuspielt, wie Tom Curley, der AP-Chef, im Februar 2009 in einem Vortrag an der University an Kansas darlegte. Er beklagte den immensen Einfluss des Verteidigungsministeriums auf Journalisten, insbesondere wenn sie aus Kriegsgebieten wie Afghanistan oder Irak berichteten. Unter der Präsidentschaft von George W. Bush sei das US-Militär in eine globale Propagandamaschine verwandelt worden. Etwa 27 000 Mitarbeiter sind bei den Streitkräften für Öffentlichkeit zuständig. Dafür werden jährlich 4,7 Milliarden US-Dollar ausgegeben. Damit ist das Medienimperium des Pentagonsgrößer als alle allermeisten Pressekonzerne der USA. Um die Deutungshoheit über Kriege und internationale Konflikte wird heutzutage beinahe genauso intensiv gekämpft wie auf den Schlachtfeldern selber. Für die USA waren die Erfahrungen mit dem Vietnamkrieg in dieser Hinsicht prägend. Kritische Berichte in der Heimat trugen erheblich dazu bei, dass die Unterstützung der Bevölkerung für diesen schmutzigen Krieg schwand, so Krone-Schmalz. (3)
Russland hat aus dem PR-Desaster im Georgienkrieg die Lehre gezogen und in Auslandsmedien investiert, wie etwa RT (Russia Today). Diese verbreiten die russische Sicht der Dinge, sind aber, so Krone-Schmalz, deutlich weniger erfolgreich als ihre westlichen Konkurrenten. Sie gelten hierzulande im Wesdten als Produzenten russischen „Fake News“, deren einzige Aufgabe darin bestehe, Zwietracht im Westen zu säen und zu verhindern, dass sich die Bevölkerung in den westlichen Staaten zu einer harten Haltung gegenüber Russland aufrafft. (4) Aber selbst diese relativ schwachen russischen Medien wurden nach der Spezialoperation in der Ukraine zu einer großen Bedrohung für den westlichen Medien-Mainstream: Sie wurden verboten und aus dem westlichen Medienraum ausgeschlossen.
Krone-Schmalz führt diese Reaktion der westlichen Medien auf deren Versuch zurück, die Welt in „Gut und Böse“, „Schwarz und Weiß“, richtig und falsch einzuteilen. Die Einteilung in Gut (wir) und Böse (unsere Gegner) erzeugt ihrer Meinung nach jedoch ein trügerisches Bild, das leider fast automatisch entstehe, sobald es irgendwo einen Konflikt gebe. US-Präsident Ronald Reagan sprach vom „Reich des Bösen“; unter Bill Clinton wurde der Begriff „Schurkenstaaten“ geprägt; George W. Bush erfand die „Achse des Bösen“. Das gängige Verfahren ist eine personelle Zuspitzung, die den Bösewicht auf der Gegenseite im wahrsten Sinne des Wortes greifbar macht. Böses muss bekämpft werden. Was gibt es da zu diskutieren! (5)
In Medien sind „Gut“ und „Böse“ im Falle Syrien recht eindeutig verteilt: Der Westen handelt moralisch richtig, weil er „das“ syrische Volk im Kampf gegen den Diktator Bashar al-Assad unterstützt. In dieser Sichtweise kämpft „das“ syrische Volk für Freiheit und Demokratie. Nur Assad steht einer demokratischen Zukunft Syriens im Wege. Tritt er ab, so wird das syrische Volk selbst über seine Zukunft entscheiden. Die Personifizierung des Bösen (in Syrien ist es Assad, in Jugoslawien war es Milosevic, im Irak Saddam Hussein, in Libyen Gaddafi, in Russland ist es Putin) führt zu einer fatalen Fehlwahrnehmung. Man hat den Eindruck, dass es ausreicht, das Böse an der Spitze zu beseitigen, die moralisch fehlerhafte Person zu entfernen, und schon ist der Konflikt gelöst. Die Menschen werden dann von ihren Fesseln befreit, und die Diktatoren werden sie nicht mehr daran hindern, sich dem Guten, d.h. dem Westen, zuzuwenden. Unter diesem Blickwinkel ist ein Vergleich Putin mit Hitler voll logisch. So äußerte sich Anfang März 2014 die damalige amerikanische Ex-Außenministerin Hillary Clinton mit Blick auf die Krim: „Wem das bekannt vorkommt: Es ist das, was Hitler in den dreißiger Jahren tat. … Hitler sagte stets, die ethnischen Deutschen, die Deutschen per Abstammung, die in Gebieten wie der Tschechoslowakei oder Rumänien waren, werden nicht richtig behandelt. Ich muss mein Volk beschützen“. Wie Hitler sei Putin ein Mann, der glaubte, die „russische Größe wiederherstellen“ zu müssen. (6)
Das Denken in den Kategorien von „Gut“ und „Böse“, so Krone-Schmalz weiter, hat in Washington eine lange Tradition – gerade auch in der Außenpolitik. Die Vorstellung, das Land sei von Gott dazu auserwählt, als Leuchtturm der Freiheit zu dienen und das Licht Gottes in der Welt zu verbreiten, lässt sich bis auf die Gründerväter und die amerikanische Revolution zurückführen. Daraus entstand im 19. Jahrhundert die Idee der „Manifest Destiny“, die besagte, dass die USA von Gott den Auftrag hätten, den amerikanischen Kontinent bis zum Pazifik zu besiedeln und mit den Segnungen des Fortschrittes zu beglücken – auch gegen den Willen der dort bereits lebenden Menschen, der Indianer. Bei Woodrow Wilson, dem amerikanischen Präsidenten während des Ersten Weltkriegs, verschmolz sie mit der Vorstellung des „Leuchtturms der Freiheit“ in der Ansicht, die Welt „reif für die Demokratie“ zu machen. Die amerikanische Mission einer Demokratisierung der Welt wurde seitdem immer wieder betont, zuletzt unter George W. Bush, bei dem sie sich mit einem besonders aggressiven (und naiven) Interventionismus verband. (7)
Aber in den religiösen Wurzeln der amerikanischen Demokratisierungspolitik, meint Krone-Schmalz, liegt eine große Gefahr, die sich inzwischen auch in deutschen Debatten beobachten lässt: nämlich die des missionarischen Fanatismus. Es gibt überall Grautöne, die die Realität bestimmen, und nicht jeder, der nach den konkreten Auswirkungen von Demokratisierungspolitik fragt, ist ein Gegner der Freiheit. Wenn man die gegenwärtigen außenpolitischen Debatten verfolgt, dann erkennt man – etwa bei einigen Außenpolitikern der „Grüne“ – eine Strömung, die, ähnlich wie die frühen Christen, von einer Naherwartung des Paradieses, der Wiederkunft Christi bzw. heute der einen, demokratischen Welt geprägt scheint. Das Eintreten für die Verbreitung von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten wird hier zu einer Glaubensfrage. Ob die damit verbundene Politik die Lebensbedingungen der Menschen ganz konkret verbessert, gerät in den Hintergrund. (8)
Auf Russland bezogen, so Krone-Schmalz weiter, bedeutet dieser Zusammenhang, dass in den westlichen Medien praktisch nur noch Raum für negative Nachrichten über das Land bleibt. Unter der moralischen Empörung tritt die nüchterne Analyse zurück. Dass jemand eine Position vertritt, die auch der Kreml einnimmt, ist allein schon ein Gegenargument. Denn was aus Moskau kommt, kann nur falsch sein. Viele Journalisten haben sich offenbar abgewöhnt, genauer hinzuschauen, wenn es um Russland geht, da die Sache ja ohnehin klar scheint: Putin ist Gegner der freien Welt, der sich der Verbreitung des „Guten“ in den Weg stellt. Er muss weg, kostet es, was es wolle! (9)
Die Überlegenheit der westlichen Mainstream-Medien macht es leicht, die Putins Russland zu diskriminieren und persönlich Putin zu dämonisieren, ohne dabei konkrete Beweisen zur Verfügung zu stellen. Es war zuerst Flugkatastrophe der Malaysia Airlines MH17, dann angebliche Vergiftung durch Nervenkampfstoff „Nowitschok“ Julia und Sergei Skripal, dann ein Giftanschlag auf oppositionellen Politiker Alexei Nawalny, dann gekündigte Beschuldigung tschechischer Regierung den russischen Geheimdienstoffizieren für die Explosionen auf Munitionslager usw. Die Dämonisierung Russlands in den Medien geht allmählich in ein kindisches Verhalten über, das auf dem Grundsatz beruht: Alles, was schlecht für Russland ist, ist gut.
Die Verlagerung des geopolitischen Kampfes in die Sphäre der öffentlichen Meinungsbildung in der Welt deutet darauf hin, dass es für den Westen immer schwieriger wird, eine Legitimation für seine militärischen Aktionen auf dem eurasischen Schachbrett zu finden. Um die expansive Logik Amerikas als einzige Supermacht zu rechtfertigen, muss es ein absolutes Böse geben, d.h. einen totalen Feind, wie es die Sowjetunion während des Kalten Krieges war. Sonst verliert Amerika ihren missionarischen Status. Folglich sollte Russland zum Aggressor und Putin zum Diktator erklärt werden, koste es, was es wolle. Je mehr Russland zu einem unabhängigen geopolitischen Akteur wird, desto lauter wird die Russophobie.
Zum Opfer der Russophobie sollen viele Initiativen der ehemaligen deutschen Führung gefallen, etwa „Wandel durch Annäherung“, „Wandel durch Handel“ und letztendlich alle Beziehungen mit Russland: ökonomische, diplomatische, kulturelle. Eine „Strategie des Friedens“, die im Kalten Krieg noch möglich war und die Spannungen zwischen zwei Supermächten abbauen sollte, ist heute sogar als eine Illusion wahrgenommen. Die westliche Politik ist nicht mehr vernünftig genug, um angesichts der wachsenden Konfrontation Kooperation anzubieten.
Der Kern des Problems ist für Krone-Schmalz absolut klar: „Denn die aktive ‚Demokratisierungspolitik‘ des Westens, sei es mit friedlichen, sei es mit militärischen Mitteln, hat bislang eindeutig mehr Schaden angerichtet als Nutzen gebracht. Sie hat ganze Regionen destabilisiert und die Lage der Menschen in den betroffenen Staaten eher verschlechtert als verbessert.“ Sie plädiert, gestützt auf Egon Bahr Lehre, anstatt die Verbreitung den westlichen Werten durch aufwändige Förderprogramme, auswärtigen Druck und im Extremfall mit Waffengewalt zu beschleunigen, wieder mehr auf innere Attraktivität vertrauen und den betreffenden Gesellschaften vor allem die Zeit geben, die sie benötigen, sich für sie zu öffnen. (10)
1. Krone-Schmalz, Gabriele: Eiszeit, S. 63.
2. Ebenda, S. 170-171.
3. Ebenda, S. 65, 73-74.
4. Ebenda, S. 74.
5. Ebenda, S. 128-129.
6. Ebenda, S. 121, 129, 168.
7. Ebenda, S. 129-130.
8. Ebenda, S. 130-131.
9. Ebenda, S. 131.
10. Ebenda, S. 242-243.