Trump ist nicht nur ein Populist, sondern auch ein Nationalist, denn die Interessen des amerikanischen Volkes stehen für ihn an erster Stelle. Mit dem Slogan „America First“ kam er in die große Politik. Dabei stellte er auch die Weltordnung in Frage, die die Vereinigten Staaten, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als einzige Supermacht übrig geblieben waren, mit besonderem Eifer zu errichten begonnen hatten. Die Verwirrung der herrschenden Eliten in den europäischen Ländern, die nicht wissen, was sie von dem amerikanischen Präsidenten noch zu erwarten haben, dürfte einmal mehr zeigen, wie groß die Gefahr einer solchen Wende in der amerikanischen Politik für die westliche Welt ist.
Bereits im März 2017, ganz zu Beginn der Trump-Administration, widmete das Rotary-Magazin diesem Thema eine eigene Ausgabe mit der Überschrift „Abschied von der Weltpolitik“. Der allgemeine Charakter der Expertenanalyse des Magazins ist ziemlich eindeutig: Von der Trump-Regierung ist nichts Gutes zu erwarten.
Einer der renommiertesten Kenner der deutschen und europäischen Zeitgeschichte, Ian Kershaw, bringt die Wende in der internationalen Politik direkt mit Trumps Wahlsieg 2016 in Verbindung. In seinem Artikel im Rotary-Magazin mit dem Titel „Ein neues Zeitalter der Unsicherheit“ schreibt er: „Der Beginn der Präsidentschaft Donald Trumps hat anschaulich ins Bewusstsein gerückt, dass eine epochale Wende im Gange ist. Seit dem Zweiten Weltkrieg bildet das Bekenntnis der USA zu Europa – zu seinen Institutionen, seiner Wirtschaft und nicht zuletzt seiner Sicherheit – eine entscheidende Grundlage der europäischen Stabilität. All dies stellt Präsident Trump nun infrage, indem er die NATO als „obsolet“ bezeichnet, sich mit „America first“ für eine Politik des Isolationismus und Protektionismus ausspricht, Putins Russland umwirbt und öffentlich erklärt, dass ihm das Ende der Europäischen Union gelegen käme.“ (1)
Der Siegeszug von Le Pens Partei, der Brexit, Putins Annexion der Krim, die Flüchtlingskrise als Folge des schrecklichen Krieges in Syrien, Terroranschläge in Frankreich, Belgien und Deutschland, die wachsende Unterstützung der Bevölkerung für nationalistische und fremdenfeindliche Parteien – all dies signalisiert den Eintritt in ein neues Zeitalter der Unsicherheit, das Europa vor einem Jahrhundert bereits in die Katastrophe stürzte. Heute, so Kershaw, bedrohen Nationalismus und Rassismus Europa erneut. „Dass die allgemeine Stimmung in Europa zutiefst pessimistisch ist, ist wenig verwunderlich“, stellt er fest.
Es besteht kein Zweifel daran, dass Trumps Präsidentschaft ein entscheidendes Zeichen der Wende in der internationalen Politik ist. In diesem Fall ist es der weit verbreitete Anstieg des Nationalismus, der sich in Trumps Wahlsieg manifestiert. Dieser Prozess hat laut Kershaw tiefgreifende Ursachen. Er schreibt: „Der Anstieg des Nationalismus resultiert in hohem Maße aus einer wirkungsvollen Kombination zweier Faktoren. Der erste ist der weitverbreitete Unmut und Ärger der Verlierer der Globalisierung … Der zweite ist der Verlust eines Identitätsgefühls, der aus der Massenmigration (ebenfalls Teil der Globalisierung) verbunden mit den Ängsten und der Unsicherheit, die der internationale Terrorismus auslöste, resultiert. Internationale Institutionen scheinen von den Alltagssorgen weit entfernt zu sein.“
Daraus ergibt sich ein Dilemma, das Kershaw wie folgt beschreibt: „Demagogen haben es leicht, die Wut der Bevölkerung (vieles davon ist gerechtfertigt) auszunutzen und scheinbar einfache und attraktive nationalistische Lösungen anzubieten. … Gleichzeitig muss eingeräumt werden, dass die Globalisierung Millionen Menschen keine Hoffnung bietet.“ Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung: „In Zeiten wirtschaftlicher Schwierigkeiten suchen viele Menschen zwangsläufig Sündenböcke. Es ist relativ leicht, ausländischen Arbeitskräften, Flüchtlingen oder „Brüssel“ die Schuld zu geben.“
Dieses Argument ist nicht neu, aber es sollte einmal mehr das alte Narrativ der Demokraten bestätigen: Nationalistische Demagogie ist keine Lösung für Probleme. Kershaw sieht den Nationalismus ausschließlich negativ und verwechselt ihn teilweise sogar mit dem Nationalsozialismus, indem er die moderne Epoche der Unsicherheit mit der Zwischenkriegszeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gleichsetzt, als Faschisten und Nationalsozialisten an die Macht kamen. Seine Haltung gegenüber dem Nationalismus, der sich in der Welt abzeichnet, ist mehr als unmissverständlich. Er schreibt: „Doch der Nationalismus ist nicht in der Lage, echte Lösungen für die in der Welt von heute so offenkundigen Probleme zu bieten. Der internationale Terrorismus erfordert eine auf internationaler Zusammenarbeit basierende Reaktion. Der Wohlstand beruht zum Großteil auf freiem Handel. Der Weltfrieden hängt von der Achtung des internationalen Rechts ab. Das wahrscheinlichste Ergebnis von Trumps Protektionismus – falls er nicht von den voraussichtlichen Nachteilen für die USA überzeugt wird – ist ein Handelskrieg nicht nur mit Europa, sondern auch mit China, den die Amerikaner vermutlich nicht gewinnen werden, der aber der Weltwirtschaft schaden wird. Wie sich dies auf die globale geopolitische Lage auswirken wird, ist nicht mit Sicherheit vorherzusehen. Doch die Auswirkungen werden wohl kaum positiv sein.“
Kershaw selbst bietet jedoch keine wirksamen Methoden zur Überwindung von Trumps Nationalismus an. Er hofft nur auf die heilsame Wirkung von Zeit, auf längst überfällige Strukturreformen in der Europäischen Union, auf gesetzlicher und verfassungsrechtlicher Druck in den USA auf den neuen Präsidenten und darauf, dass die Gefahr eines Handelskriegs mit China ihn dazu bewegen könnte, von einigen potenziell schädlichen Maßnahmen abzusehen. Er zögert jedoch, den Ausgang des Duells zwischen dem alten und dem neuen Amerika vorherzusagen. Er gesteht: „Es ist einfacher, die Probleme der neuen Ära zu erkennen als Lösungen für sie zu finden. Niemand kann die Ereignisse der näheren Zukunft vorhersagen.“
Dennoch sieht er in der Annäherung zwischen den beiden führenden Atommächten USA und Russland, angeführt von zwei flammenden Verfechtern des Nationalismus, Trump und Putin, einen positiven Trend der Zeit. Er schreibt: „Eine neue Annäherung zwischen den USA und Russland könnte die internationalen Spannungen – wider Erwarten – eher verringern als erhöhen und sich im Syrien-Konflikt als günstig erweisen und dadurch den Flüchtlingsdruck mindern.“ Das Gleiche möchte ich über die Ukraine sagen. In Trumps erster Amtszeit wurde eine Eskalation des Konflikts in der Ukraine vermieden. Es ist kein Zufall, dass Trump heute behauptet, dass es unter ihm keinen Krieg in der Ukraine gegeben hätte. Deshalb bleibt Kershaws Hoffnung auf eine friedliche Lösung der Weltkonflikte unter Beteiligung der Vereinigten Staaten und Russlands gültig: Die gemeinsamen Anstrengungen der beiden atomaren Weltmächte können einen echten Beitrag zur Herstellung des Friedens nicht nur in der Ukraine, sondern auf der ganzen Erde leisten, wie es ihnen ja auch im Kalten Krieg in vielerlei Hinsicht gelungen ist.
Trumps Nationalismus könnte sich also – auf eine gute Art und Weise – als effektiver erweisen, um die überfälligen Probleme der Welt zu lösen, als Amerikas vermeintliche Mission, die ganze Welt nach dem Vorbild der westlich-liberalen Demokratie glücklich zu machen.
1. https://rotary.de/gesellschaft/ein-neues-zeitalter-der-unsicherheit-a-10369.html