Neutralität als Rechtsinstitut ist ein wichtiger Bestandteil des Friedens

Neutralität als Rechtsinstitut ist ein wichtiger Bestandteil des Friedens

Es handelt sich um Neutralität als ein Rechtsinstitut, die in zwischenstaatlichem Völkerrecht Europas eine wichtige Rolle bei der Hegung des Krieges gespielt hatte. Die Neutralisierung von Staaten, und zwar die Ausgrenzung den bestimmten Räumen aus dem möglichen Kriegsschauplatz, sind, nach Schmitt, „kennzeichnende Methoden der Hegung des Krieges innerhalb einer völkerrechtlichen Raumordnung“. Solche Methode war nicht weniger wichtig als alle anderen Regelungen des europäischen Völkerrechts, die die europäischen Mächte bei ihrer Suche nach Frieden in Europa entwickelten. Schmitt schreibt: “In der Geschichte des europäischen zwischenstaatlichen Völkerrechts sind alle großen Gebietsänderungen, Neubildungen von Staaten, Unabhängigkeits- und Neutralitätserklärungen als Kollektivverträge auf europäischen Konferenzen zustandegekommen oder wenigstens sanktioniert worden. Dauerende Neutralisierung von Staaten – der Schweiz 1815 und Belgien 1831/39 – sind vor allem Angelegenheiten von Kollektivverträgen der europäischen Großmächte, weil dadurch bestimmte Staatsgebiete einen besonderen völkerrechtlichen Bodenstatus erhalten, in dem sie aufhören, Kriegsschauplatz zu sein. Die Kollektivverträge der großen europäischen Friedenskonferenzen – 1648, 1713, 1814/15, 1856, 1878, 1885 (Kongo-Konferenz) – bestimmen die einzelnen Abschnitte der Entwicklung dieses Völkerrechts als einer Raumordnung.“ (1)

Das reale und nicht nur formale Gleichgewicht der souveränen Staaten in Europa war eine notwendige Voraussetzung für die Neutralisierung von Staaten. Schmitt schreibt: „Der Begriff des justus hostis schafft auch den Raum für eine völkerrechtliche Neutralität dritter Staaten. Auch das trägt dazu bei, dass die mörderische Gerechtigkeit von Religions- und Parteikriegen neutralisiert wird.“ Das zeigt die widersprüchliche Behandlung der Genfer Liga mit der dauernden Neutralität der Schweiz. Schmitt schreibt: „Das Kriegsverhütungsrecht des Genfer Völkerbundes enthielt den Anspruch, Kriege als erlaubt oder unerlaubt zu qualifizieren und zwischen den kriegsführenden Staaten nach Recht oder Unrecht völkerrechtlich zu diskriminieren. Dadurch war der Neutralitätsbegriff des bisherigen zwischenstaatlichen Völkerrechts in seiner Grundlage, in der perfekten auequalitas der auf beiden Seiten justi hostes, verneint. Trotzdem sollte die dauernd neutralisierte Schweiz ein vollgültiges Mitglied dieser Genfer Vereinigung sein; sie sollte sogar , wie jedes andere Mitglied, an disqualifizierenden und zur Diskriminierung führenden Beratungen und Beschlüssen der Genfer Liga teilnehmen.“ (2)

Doch es wurde nicht beachtet, so Schmitt, „dass dauernde Neutralität mit Zugehörigkeit zu dem universalistischen Kriegsverhütungssystem der Genfer Liga unvereinbar war“. Es wurde versucht, den Widerspruch dadurch zu lösen, „dass die Schweiz nicht an den militärischen, wohl aber an den wirtschaftlichen Sanktionen“ teilzunehmen dürfte. Durch eine Resolution der Rat der Liga vom 14. Mai 1938 wurde aber die Schweiz von Teilnahme an den Sanktionen befreit. Schmitt schreibt dazu: „Dieser Fall einer Restauration ist außerordentlich lehrreich. Es hatte sich erwiesen, dass die dauernde Neutralität der Schweiz stärker war als die neue Genfer Liga. Das bedeutete aber nur, dass die Genfer Methoden sich als schwach und hilflos erwiesen hatten. Es bedeutete keineswegs, dass mit der Rückkehr zu integralen Schweizer Neutralität auch deren Grundlage und existenzielle Voraussetzung, nämlich die alte Raumordnung, des jus publicum Europaeum restaurieren war. Die Restauration war in Wirklichkeit nur apokryph, denn die dauernde Neutralisierung eines Landes kann nicht als eine isolierte und voraussetzungslose Einrichtung innerhalb eines leeren Raumes schweben.“ (3)

Die Kriminalisierung des Krieges, die sich seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion rasant entwickelt hat, ist ein weiterer Beweis dafür, dass sie mit der Neutralisierung als Rechtsinstitut unvereinbar ist. Seit 1989/90 ist die Neutralität als wichtigen Rechtsinstitut des Friedens in der Krise geraten: Die Logik der einzigen Supermacht Amerikas lehnt sie prinzipiell ab. Das zeigen die Erfahrungen aller postsowjetischen Staaten, die für ihre Außenpolitik den sogenannten multivektoralen Weg gewählt haben. Alle ihre Versuche, sich als die Brücke zwischen Russland und Europäischen Union zu etablieren und politischen Neutralität zu bewahren, sind gescheitert: in der Ukraine, Weißrussland, Georgien, Moldawien…

Das Prinzip der offenen Tür der EU und NATO bedeutet für die ehemaligen sowjetischen Republiken nur einen Weg: nach Westen. Auch die alte Vereinbarungen und Beschlüsse, die eine Neutralität beinhalten, befinden sich unter dem Unterdrückung, wie zum Beispiel die ukrainischen Neutralität und Blockfreiheit, die als wichtigsten Satz in der Erklärung der Staatssouveränität der Ukraine 1990 eingeschrieben wurde. Dieser Satz verbietet, der Ukraine in der NATO einzutreten, doch Kiews Regierung hält nicht an, in der transatlantischen Allianz anzustreben, ohne aber den eigenen Volk zu fragen, ob er das wirklich will.

Sogar in Europa gerät die Neutralität unter dem Druck. Einige Diplomaten und die Regierungschefs von traditionell neutralen Staaten wie Schweiz, Schweden oder Finnland verweigern sich nicht mehr, von den Grundsätzen der Neutralität abzuweichen. Der modernen gerechten Krieg, der gegen „ungerechten“ Feinden eingerichtet ist, saugt in sich wie ein Staubsauger alle Bereiche des Lebens, die grundsätzlich neutral sein müssen: von Sport und Kultur bis Medizin und Wissenschaft. Ein diplomatischer Boykott der Olympischen Winterspiele 2022 in China hat gezeigt, dass für ein modernen gerechter Krieg überhaupt keinen neutralen Zonen mehr gibt. Zum Opfer der Kriminalisierung des Krieges sind sogar solche Prinzipien gefallen, die im Fundament des westlichen neoliberalen Wirtschaftsmodells lagen: Ausschaltung SWIFT von Finanztransaktionen mit Russland, Beschlagnahme des privaten Eigentums, politischen Druck auf die Privatunternehmen, die die Geschäfte mit Russland machen, usw.

1. Schmitt, Carl: Der Nomos der Erde, S. 162.

2. Ebenda, S. 114, 222.

3. Ebenda, S. 114, 222-223.